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Donnerstag, 28. November 2013

In den Schären

Wir sitzen auf grob gezimmerten Bänken
Der Wind trägt die Salzluft zur holzgrauen Hütte
Ein blonder Geschwisterreigen zieht vorbei
Würfelt sich durchs hohe Gras hinunter zum Strand
Wir hören die Sprünge vom Landungssteg
In die kalte Baltische See
Mittags das Signalhorn der Fähre vom Festland
Du pfeifst mit blauen Zähnen
Sortierst deine losen Blätter
Beschwerst sie mit dem Kartoffelmesser
Ich trenne Blaubeeren von Preiselbeeren
Und schreibe in mein Heft:
Der heutige Tag: primär zyanblau.

Gedicht von Sandra Hubinger


Sandra Hubinger ist in Oberösterreich aufgewachsen. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Salzburg und Manchester. Danach Lehrtätigkeit in Frankreich und Österreich. Sie schreibt Lyrik,  Prosa und Theatertexte und veröffentlichte Gedichte in mehreren Lyrikzeitschriften (Kaskaden, die Lyrikzeitschrift, Augustin). Zur Zeit studiert sie Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien. 2013 erhielt sie den Feldkircher Lyrikpreis (3. Platz) für einen Zyklus von Gedichten, die sich mit dem Vers "satt liegt meine Hand in der Wölbung deines Rückens" von Elisabeth Steinkellner auseinandersetzen. Zu diesem gehört auch ihr Gastbeitrag "In den Schären". Aus der Begründung der Jury: "Sandra Hubingers Aufmerksamkeitsradar richtet sich auf ein Gegenüber, dieses "Ich" sucht den Kontakt, der im Idealfall die Begrenzung des Eigenen überschreitet, sich öffnet, einfühlt in die Stimme des Anderen, sich bei ihm Ausruhen möchte, vermittelt stets über die Aufzeichnung von Sinneseindrücken des Sehens/Sprechens/Hörens, niemals als gefühlsselige Beschwörung von Rauschzuständen." 

Sonntag, 18. August 2013

Und wie wir endlich zum Mond kamen, war's ein Stück faul Holz

Bisweilen ist es gut ein wenig Abstand zu nehmen
Von all diesen Geschichten zwischen Schreibtisch und Bett
Und einmal so durchzuatmen wie der Astronaut Chris Hadfield.
Als er Space Oddity in einer Raumstation sang

In jenem schwerelosen Zustand der uns beruhigen soll
Und glauben lassen dass die Erde immer noch kein umgestürzter Hafen sei
Und dass sich noch alles um alles drehe sagst du
Und ich schaue dir zu wie du das Atmen vor dem Spiegel übst

Um mir zu beweisen dass wir beide
Noch am Leben sind und sich etwas wie Zärtlichkeit einstellt
Wenn die Luft in den Lungen ausreicht um
Sich in den luftleeren Raum fallen zu lassen und dennoch zu singen


Gedicht von Ursula Teicher-Maier


Ursula Teicher-Maier lebt in und um Darmstadt. Zuletzt erschien ihr Lyrikband "Das Reiben der Vögel an Mozart", Horlemann Verlag 2013. Sie erhielt den Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis für Literatur und andere Ehrungen und arbeitet in der Künstlerinnen-Gruppe „fishing for art“ in der Darmstädter Kunstfabrik mit, ist außerdem Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller, Hessen und Mitglied der Europäischen Autorenvereinigung DIE KOGGE. ursula-teicher-maier.de

Dienstag, 23. Juli 2013

EKKUDEN, NOTIZ

Wir kommen näher. Die Müdigkeit gerinnt zum See
Der See gerinnt zu einer Erfahrung, die grau und offen ist
wenn ich diesen Ort verlasse. Die nackte, halbnackte
Gestalt eines Wortes, das mir entgleitet

Krümel von Asche und Fahrt
tellergroße Wolken. Das Gebet noch immer gut verpackt
Gebet an die Welt

Ich bin müde wie Gras, ausgedorrt wie der kubische Schatten
des Grases. Welt und Wildnis
die willenlos einfach, zweifach nicht will



Gedicht von Joachim Zünder


Joachim Zünder, *1956 in Troisdorf, Nordrhein-Westfalen, lebt heute als Schriftsteller und Verleger in Berlin. Dort hatte er an der FU Biochemie studiert, bevor er mehrere Jahre im Ausland verbrachte, vor allem in nordeuropäischen Ländern. Er veröffentlichte bisher drei Gedichtbände, zuletzt den Band "Rauchgeister" im selbst gegründeten Independent-Verlag "Kaamos Press" (2011). Die Reflexion über Orte, an die er gereist ist, ist in seinen Gedichten häufig Mittel des Nachdenkens über das Schreiben selbst.

Samstag, 25. Mai 2013

Mittelfeld

ich spiele
im Mittelfeld
wenn mich
jemand
fragen würde
wo ich spiele
würde ich sagen
Mittelfeld
und nur für mich
noch dazu:
eigentlich Sturm

Gedicht von Anna Breitenbach

Anna Breitenbach, *1952 in Hessen, lebt als Autorin, Poetin und Wortaktionistin in Esslingen und Elmo/Italien. Ihr Gedichtband "Feuer. Land" erschien 2003, für ihren Roman "Fremde Leute" (2000) erhielt sie den Thaddäus Troll-Preis. Das Gedicht "Mittelfeld" stammt aus einer ganzen Reihe von Fußballgedichten. Mehr auf annabreitenbach.de und im DaWanda Shop poetry.works.

Montag, 22. April 2013

Küche

der Tisch war gedeckt, die graublaue Fahne
des Morgens hing noch vorm Fenster, da saß
meine Großmutter - Brille, Zeitung - und schmierte
Leberwurststullen mit der Zeit um die Wette.
vollwertiges Müsli lag bequem und hübsch in seinem
Porzellanbecken, drinnen schwammen ein paar Tränen,
glänzten auf der Oberfläche der Milch,
auf weißer, vor Spannung zitternder Haut.
eine Welle aus Schokoflakes durchfuhr die Schale,
schwarze Flächen tauchten auf und versanken.
das Radio lief seit einem Jahrhundert,
rauschte Jahrzehnt für Jahrzehnt durch den Morgen,
eine Küche vollgepresst mit Weltmusik,
und draußen vermehrten sich die Busse,
vollgepresst mit Kindern tausender Eltern,
deren Kombis ein paar Kilometer südlich
in einen Baum rasten, jetzt, in einer scharfen
Biegung, und die Nachricht kam erst am Abend.

Gedicht von Marius Hulpe

Marius Hulpe, *1982 in Soest, hat Kulturwissenschaften und Kreatives Schreiben in Berlin, Zürich und Hildesheim studiert. Er lebt zur Zeit als Autor, Lektor und Dozent in Krakau. In vielen seiner Gedichte setzt er sich auf intensive und originelle Weise mit Orten auseinander, unter anderem mit Schauplätzen seiner westfälischen Heimat, wie in der Lyrikanthologie "Westfalen, sonst nichts?" (parasitenpresse, Dezember 2012). Marius Hulpe erhielt 2008 für seinen ersten Gedichtband "wiederbelebung der lämmer" den Literaturförderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen und das LCB-Stipendium des Berliner Senats. Im März 2013 gerade frisch erschienen ist "Einmal werden wir", sein zweiter Gedichtband in der Lyrikedition 2000, dem das hier vorgestellte "Küche" entstammt, siehe dazu:
http://www.allitera.de/Hulpe%2C+Marius%3AEinmal+werden+wir_Lyrikedition+2000_978-3-86906-508-3_t.html

Freitag, 22. März 2013

Gliwice (Gleiwitz)

Verrostete Eisenbahnwaggons
Unkraut auf dem Bahnsteig
kniehohes Gedankenversteck
für Busengrapscher
Auf dem allerletzten Meter Bahnsteig
Nicht mehr hier und noch nicht fort
das wehende Haar kann sich nicht entscheiden
der frisch geputzte Glaskasten
mit der leuchtenden
Marienfigur
mit schräg gehaltenem Kopf
die sich auch nicht entscheiden kann

Gedicht von Tanja Dückers

Tanja Dückers, *1968 in Berlin (West), lebt als Autorin von Prosa, Lyrik und Essays in Berlin. Zuletzt erschienen der Gedichtband "Fundbüro und Verstecke" (2012), dem das Gedicht oben entstammt, und der Roman "Hausers Zimmer" (2011), beide im Schöffling Verlag. Sie hat zahlreiche Preise, Stipendien und Lehraufträge (international) erhalten. www.tanjadueckers.de

Montag, 18. Februar 2013

Platanen-Blues

Was ist eine Baumreihe?
Die Baumreihe ist die Harfe der Stadt.
Wie wird die Sünde gemessen?
In Kilowatt?
Woraus besteht der Mensch?
Aus Wasser.
Sind wir Blut?
Wir sind Blut.
Sind wir Herz?
Wir sind Musik.
Wie hast du geschlafen?
Albträumerisch.
Woraus ist nun das Holz?
Das Holz kommt vom Wind.


Gedicht von Marko Tomaš

übersetzt aus dem Bosnisch-Kroatisch-Serbischen
von Elvira Omerika und Sibylla Hausmann

Marko Tomaš, *1978 in Ljubljana, Slowenien, lebt heute als Autor und Journalist in der geteilten Stadt Mostar, Bosnien und Herzegowina. Er war schon in zahlreichen verschiedenen Orten in ganz Ex-Jugoslawien zu Hause. Die Themen "Verortungen" und "Reisen" sind somit auch wesentlich für sein literarisches Schaffen. Er veröffentlichte bisher fünf Gedichtbände. Seine Poesie wurde bereits ins Englische, Deutsche, Französische, Italienische und Polnische übersetzt.

Dienstag, 15. Januar 2013

seeblick


seeblick                 defektes tastfeld mit einem
wisch wären wir leicht und fett wie ausgestorbene so weich in öl-in-wasser-emulsion
das meer, das abgekartete

Gedicht von Charlotte Warsen

Charlotte Warsen, *1984 in Recklinghausen, lebt in Berlin. Sie studierte Kunst, Philosophie und Amerikanistik an der Kunstakademie Düsseldorf (Klassen Lüpertz und Tal R), in Köln und Finnland. Seit 2011 Promotionsprojekt in der Philosophie. Veröffentlichungen in Zeitschriften (u.a. randnummer, Bella triste) und Anthologien; Finalistin beim 19. Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin. www.charlottewarsen.de

Freitag, 28. Dezember 2012

Ausbruch der Madonnen

In gesprenkelte Helligkeit
brachen sie aus. Kirchenlicht
fürs Jenseits geschminkt.
Eine Gnadenbildmadonna
eine Madonna mit dem Kinde
eine einstmals mit dem Kinde
eine sterbende Madonna
fielen aus dem Steingemäuer
jener Art Verlies, gewöhnlich
von Stiefmüttern bewohnt
und ausgedienten Hexen.
Die Heizkörper lehnten
an den Kirchenbänken
die Klempner verschwanden
in die Brotzeit. Ich blieb allein
das Schiff schwankte im Schweigen.
Da regte sich ein blasses
steinzerkratztes Wesen
da rollte zag aus dem Versteck
die Letzte ihrer Reihe:
Vesperbildmadonna,
den toten Jesu steif im Arm
plumpste hölzern mir zu Füßen –
vor meine Füße, Frau Äbtissin!
Spät lag ich wach an diesem Tag
sah meine Zehen an,
zehn kleine Wunder.

Gedicht von Nora Bossong

aus der Anthologie "Poesie und Stille", Wallstein Verlag, 2009.

Nora Bossong, *1982 in Bremen, lebt heute in Berlin. Sie studierte Kulturwissenschaft, Philosopie und Literatur an vielen Orten, u.a. in Rom und in Leipzig, am Deutschen Literaturinstitut. Nora Bossong schreibt Lyrik und Prosa, sie hat in beiden Genres bereits mehrere Einzelveröffentlichungen. Zuletzt erschien 2012 der Roman "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" im Hanser Verlag.

Donnerstag, 29. November 2012

wir sind aufeinander gestimmt, wir haben zeichen im blut


wir sind aufeinander gestimmt, wir haben zeichen im blut
die abdrücke von zwei hufen, die beim gleichen schmied waren.
du kannst wegkriechen, aber welches halbe pferd kann springen?
wenn du so halb im sand liegst, verschmelzen wir wieder.
auch ich will weglaufen, weil wir wahnsinnig werden im schnee.
niemand, der uns sieht, ist auf die klebrigen fäden gefasst
die uns verbinden wie unterseeische kabel die kontinente.
ich werde ruhig, wenn wir im auto sitzen & fast einschlafen.
ich denke, wir sind ein tier mit zwei herzen & zwei augen.
wollen wir vernünftig sein, müssen wir zum schlachthof gehen.

von Carl-Christian Elze

Das Gedicht stammt aus dem Band ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist. luxbooks, Wiesbaden 2012, der im Dezember erscheinen wird.

Carl-Chritian Elze *1974 in Berlin, lebt in Leipzig. Er studierte Biologie und Germanistik, und später am Deutschen Literaturinstitut Leipig, schreibt Lyrik, Prosa und Drehbücher. Der Vorgänger-Band ist gänge. Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2009. Er hat in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht (z. B. Lyrik von Jetzt 2, Neubuch, Bella Triste, Edit) und viele Auszeichnungen erhalten, darunter der Lyrikpreis München 2010 und poet in residence in Dresden-Loschwitz 2013.

Samstag, 29. September 2012

Kondorlied

nie gesehen, höchstens schwach
ich kannte diese Schwäche aus der Nachbarschaft

     da stand ein Kleintierzoo vor vielen Jahren 
     im Wald am Elternhaus, ein Fertighaus                      
     ich zog vor vielen Jahren aus
     ich zog vor vielen Jahren aus
     die Gitter fielen, doch die Tiere blieben                                          
     mit ihren Muskeln war etwas geschehn
     war ihr Verlangen nicht mehr anzuspannen

viel später wurde ich geboren
mal spielten wir Kojoten jagen                         
mal nach Kojotenknochen graben                             
fast hätte ich verloren


Gedicht von Georg Leß

Georg Leß *1981 in Neheim, lebt in Berlin. Er hat in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht (u.a. Edit, Lichtungen, randnummer, Jahrbuch der Lyrik).

Donnerstag, 23. August 2012

august

jeden sommer bangen büsche und bäume
ob noch die drehwurz in ihrem schatten steht
die schwarzdrossel durch ihr laub stöbert
das rotkehlchen nach weicher nahrung sucht

der maulwurf aber bleibt tief in der erde
wirft sommers wie winters erdhügel auf
luft holen sehen ihn busch und baum nie
nur die erschütterung ist da um ihre wurzeln 


Gedicht von Stefanie Kemper


Stefanie Kemper *1944 in Hirschberg/Schlesien, lebt in Maierhöfen/Allgäu. Sie hat mehrere eigenständige Gedichtbände herausgebracht, sowie Erzählungen und Kurzprosa, zuletzt "Orte. Lyrische Impressionen aus allen Himmelsrichtungen" und "raps geht im wind. Gedichte und Bilder" (beide 2011). Kemper, die seit über 20 Jahren Lyrik und Prosa schreibt und veröffentlicht, hat bis 1999 als Biologin an einer Akademie gelehrt. Heute gibt sie u.a. Kreatives Schreiben Kurse und widmet sich in Zusammenarbeit mit Komponisten und Bildenden Künstlern der intermedialen Umsetzung ihrer Texte.

Samstag, 19. Mai 2012

Umwege

an einer Erzählung herumprobiert und
zuletzt ein Gedicht angefangen
an dem weiterzumachen sich lohnt

eine Heirat, um sich
von einem Mann trennen zu können

mäandernde Flüsse, auf die am Ende das Meer wartet
der Vogel, der mit einer Steinsammlung um die Schöne wirbt
Blumen, bevor man in Verhandlungen eintritt
barocke Kapitelüberschriften

warten lernen
oder besser nicht warten
ein Bad nehmen
Wäsche einräumen
Gartenarbeit
halb gedankenlos
halb konzentriert

so machen wir uns auf den Umweg

rücken eine Vase zurecht
treten noch einmal auf den Balkon
schnipsen vom Tisch die Brösel

dann sind wir auf einmal da


Gedicht von Tina Stroheker

Tina Stroheker *1948 in Ulm/Donau lebt in Eislingen. Sie hat zahlreiche Gedichtbände und Prosa veröffentlicht und viele Preise und Stipendien erhalten (z.B. 1991 den Leonce-und-Lena-Förderpreis und 2003 den Josef-Mühlberger-Preis). Mitglied ist sie u.a. im Deutschen P.E.N.-Zentrum. „Umwege“ ist aus dem Band „Was vor Augen liegt“, Tübingen 2008. Mehr auf  http://www.tina-stroheker.de/

Mittwoch, 2. Mai 2012

jenseits von Afrika...

jenseits von Afrika: nicht hier, wenn im Sommer
Rauch aus den Öfen steigt (wo Plötze und Bach-
forellen an ihren zweiten Haken hängen)
ein eingezogner Boden unter kornklarem Himmel
Afrikafahrer führn ihn unter ihrem Fuß (ihren ruß-
schwarzen Sohlen)
eine Buckelstraße geht zum See, ein Mondgebirge
fern der Dächer und Dachse
mein eigener Ort
beim Anpfiff der Grillen
                                                mein witternder Springer


Gedicht von Anke Bastrop

Anke Bastrop *1982 in Halle, lebt heute in Leipzig, wo sie Germanistik, Journalistik und Literarisches Schreiben am DLL studiert. Sie veröffentlichte bereits in mehreren Zeitschriften und Anthologien und ist Mitglied der Literaturgruppe augen : post, siehe www.augenpost.de

Mittwoch, 28. März 2012

Dort

Jetzt sickern die Tage allmählich unter
die Haut und werden zu Wochen und
Jahren dort wo früher nichts war oder

doch eine Landschaft kaum erkennbar
für einen zufälligen Wanderer nun aber
fließt Zeit und es entstehen Siedlungen

am Ufer zerbrechliche Hütten und
Stimmen hört man den Gesang von
Wiegenliedern dass so etwas schön

ist weiß man so wird es nicht bleiben
auch das wissen wir längst und bei
den Ärzten sagt man wir hätten ein

abnehmendes Herz das kaum mehr
Licht gibt im Dunkel nur noch als
Sichel schwebt es wie unser liebstes

Gestirn über den Hütten und selbst
dort blicken die Alten mit Sorge zum
Himmel bereits dort ja genau dort


Gedicht von Max Sessner


Max Sessner *1959 in Fürth/Bayern, lebt und arbeitet heute in Augsburg. Er hat in Zeitschriften und Anthologien und im Internet veroeffentlicht (http://www.poetenladen.de/max-sessner.htm), sowie mehrere eigenstaendige Gedichtbaende herausgebracht. Zuletzt erschien der Band "Warum gerade heute" im Literaturverlag Droschl (Februar 2012). Das Gedicht "Dort" ist hier in "Liebe Ella" zum ersten Mal veroeffentlicht.

Sonntag, 4. März 2012

Der so oft beschriebene klangort der vögel:

allein im waldgebiet ein stückchen hinterm haus,
nur hinten in der.. borktriefenden tiefe so eines
nordbrandenburger hains (die alte stachbeerenlaube..)

also die vordere baumreihe, dieses auslöschende
von allen birken verlassene licht: dahinter vogelstreit
und sängeratem: schlechtwetterfront am nachmittag
und abends lahmt der letzte schreihals durch das bild

am sängerweg, dem lauten, nur ihre flüche einzufangen
auf so ein bandgerät, die stimmbandwaffe später, was dann
für immer so authentisch bleibt; die feldarbeit, die man im
spiegel betrachtet und an den fingern/ und einer singt

aus seiner deckung irgendwo/ gekropftes gebüsch, dort im flieder
der ohrenkundler, wie ein verbotener schütze und am morgen
bringt ein anderer den trog mit den stimmen, es klingt
als ob die reiflauten baumreihen vor lachen zerplatzen.

von Klara Beten

Klara Beten * 1981, lebt in Berlin. Sie hat in verschiedenen  Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht und gerade erschien der Band „kopfbild, default“ Gedichte, Leipzig 2012. Sie war Beiträger im Forum der 13 und erhielt den Dulzinea Lyrikpreis. http://klarabeten.blogspot.com

Mittwoch, 25. Januar 2012

kokon

das nächtliche um uns:
ein specht schlägt eine tanne wund,
und alles nächtliche um uns:
ein mund besiegelt einen mund -

im nächtlichen gesicht der mond
liegt lächelnd, liegt im schwund
schon eine hand, die eine hand begriff.

wir sprechen nicht. wir flechten finger,
bänder, bänder bis verstummt
im hintergrund ein specht, sein puls:
die nacht den tag entpuppt.

von Sina Klein

Sina Klein *1983 in Düsseldorf, wo sie auch lebt. Studium der Romanistik / Anglistik / Germanistik. Seit 2010 regelmäßig Lesungen mit einem 5-köpfigen Autorenkollektiv; schreibt Lyrik, übersetzt und rezitiert.Veröffentlichungen u. a. in poet, Proto und lauter niemand. "kokon" ist hier erstmalig veröffentlicht. Mehr unter http://www.poetenladen.de/sina-klein.htm

Montag, 19. Dezember 2011

Es riecht nach Schnee...

Es riecht nach Schnee, der Sonnenapfel hängt
so schön und rot vor meiner Fensterscheibe;
wenn ich das Fieber jetzt aus mir vertreibe,
wird es ein Wiesel, das der Nachbar fängt,
und niemand wärmt dann meine kalten Finger.
Durchs Dorf gehn heute wohl die Sternensinger
und kommen sicher auch zu meinen Schwestern.
Ein wenig bin ich trauriger als gestern,
doch lange nicht genug, um fromm zu sein.
Den Apfel nähme ich wohl gern herein
und möchte heimlich an der Schale riechen,
bloß um zu wissen, wie der Himmel schmeckt.
Das Wiesel duckt sich wild und aufgeschreckt
und wird vielleicht nun doch zum Nachbar kriechen,
weil sich mein Herz so eng zusammenzieht.
Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet,
wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?
Den Apfel hat schon jemand weggenommen …
Doch eigentlich ist meine Stube gut
und wohl viel wärmer als ein Baum voll Schnee.
Mir tut auch nur der halbe Schädel weh
und außerdem geht jetzt in meinem Blut
der Schlaf mit einer Blume auf und nieder
und singt für mich allein die Sternenlieder.


Gedicht von Christine Lavant


Christine Lavant (eigentlich Habernig, geb. Thonhauser) *1915 in Groß Edling, gestorben 1973 in Wolfsberg (beides Kärnten, Österreich), aus einer armen Bergarbeiterfamilie stammend, veröffentlichte zu Lebzeiten mehrere Gedicht- und Erzählungsbände. In ihren Texten greift sie auf volkstümliche Motive zurück, die ihr als Basis einer komplexen poetischen Symbolik dienen. Immer wieder drehen sich ihre Texte um die Themen Tod, Geburt, Hoffnung und "Unheimlich-Heiliges". Deshalb erscheint dieses Jahr im Dezember, passend zur Adventszeit, mit "Es riecht nach Schnee..." ausnahmsweise ein Gedicht, das nicht von einer Gegenwartslyrikerin stammt. Das Thema "Verortungen" spielt für Lavant, die sich als Autorin nach ihrer Heimatgegend, dem Lavanttal, benannt hat, eine entscheidende Rolle. Die unzertrennliche Verbundenheit mit ihrer Heimatgegend war für sie Fluch und künstlerisches Material zugleich.

Dienstag, 15. November 2011

mappa

was ist der wohnort? der wohnort ist
eine kreuzzehn. was ist die kreuzung?

in der verkorksten mundart der wälder
ist die kreuzung das wort baum. warum

spielen heimatländer in den lüften karten?
niemand hat die länder je nach hause gehn

sehn. ein baum im wald der nähesprache
ist im kartenspiel die zehn. aus seinem holz

werden auf der karte kreuze gemacht.
die länder tragen hier ihren wohnort ein,

dann legen sie die feder ins mäppchen
zurück. was ist ein mäppchen? zurück.

mit nelly sachs

Gedicht von Uljana Wolf


Uljana Wolf *1979 in Berlin, lebt als Lyrikerin und Übersetzerin in Berlin und Brooklyn. Für ihre beiden bisher veröffentlichten Gedichtbände spielen sprachliche und räumliche Verortungen eine wesentliche Rolle. In "kochanie ich habe brot gekauft" (2005) besonders in Hinsicht auf die deutsch-polnische Beziehung und in "falsche freunde" (2009) in Hinsicht auf den deutsch- und den englischsprachigen Raum. Im poet mag 10 wurde sie von Jan Kuhlbrot zum Thema Schreiben und Orte interviewt, hier nachzulesen: http://www.poetenladen.de/jan-kuhlbrodt-uljana-wolf.htm.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Grobkörnig, mit Herodot

Das Licht ist grobkörnig, wie
verstreut. Vielleicht lässt es sich
finden in tieferen Schichten. Sie
aber bleibt bei sauberen Händen
nimmt höhere Empfindlichkeit
und geht auf Abstand. Anstatt
sich anzusprechen, küssen sie sich
auf den Mund. Das kann sie
einfangen, das ist gut für heute.


von Adrian Kasnitz

Adrian Kasnitz * 1974 lebt als Schriftsteller und Herausgeber (parasitenpresse) in Köln. Zuletzt veröffentlichte er den Band "Schrumpfende Städte" (Luxbooks, Wiesbaden 2011), der auch das Gedicht oben enthält. Alles weitere hier http://www.luxbooks.de/autoren/adrian-kasnitz.