Samstag, 24. Juli 2010

Liebe Sibylla,

durch deinen Brief habe ich noch mehr Lust auf den Besuch bei dir und unsere kleine Reise bekommen, zumal es hier jetzt nach der langen Hitze plötzlich wieder 13 ° kälter ist. Es ist immer so krass, wie schnell das gehen kann, so lange man permanent schwitzt, kann man sich gar nicht vorstellen, dass es je wieder aufhört und dann, zack, weiß man nicht, ob es diesen Sommer überhaupt noch mal heiß wird. Aber bei dir gibt es ja Hitzegarantie. Heute in zwei Wochen bin ich schon da. Und ich werde das Meer und die Berge sehen!

Hast du das Buch („Wie ich mich einmal in alles verliebte“ von Stefan Merrill Block), das du mir geschenkt hast, eigentlich auch gelesen? Es hat mir ganz gut gefallen, eine gute Geschichte, gut aufgebaut, skurril und mit interessantem medizinischem Background. Gut hat mir auch das Aufeinanderprallen der Welten zwischen der alten Farm und den Retorten-Häusern gefallen, wenn Abel mit seinem alten Pferd zum Einkaufscenter reitet. Den Titel der deutschen Übersetzung finde ich allerdings völlig irreführend, da es sich wirklich um „The Story of Forgetting“ und nur untergeordnet um eine Liebesgeschichte handelt. Die Figuren bleiben etwas blass, man wird gut unterhalten aber wenig bewegt.
Hast du eigentlich die Edit weiter abonniert? Ich habe mir ein Abo zum Geburtstag gewünscht und bekomme jetzt Bella und Edit. In der letzten Edit sind Gedichte, die ich cool finde. Von Ben Lerner, einem amerikanischen Lyrik-Dozent und -Redakteur, Jahrgang 1977, übersetzt von Steffen Popp (komischer Name!). Sie sind irgendwie grundlegend anders als die deutschen Sachen, die man so liest. Sehr dynamisch, schnell, radikal und lustig. Es gibt gleichzeitig viele Aufzählungen und viele kurze komplette Sätze. Die Grammatik ist klar und mit vielen Satzzeichen. Sprachelemente werden mit persönlichen Handlungen kombiniert, zuviel Theorie veralbert, wobei ihre Beherrschung auch deutlich wird und es gibt einige Appelle wie: „Ich wünschte, alle schwierigen Gedichte wären tief. / Hupen Sie, wenn Sie wünschten, alle schwierigen Gedichte wären tief.“

So trotz Wind und leichtem Regen gehe ich gleich zu einer Dach-Terrassen-Grill-Party und muss jetzt noch den Salat zu den vegetarischen Würstchen vorbereiten.

Bis bald,
deine Eva

Dienstag, 13. Juli 2010

Liebe Eva,

die Entschuldigungen für verspätete Antworten gehören zu jedem guten Briefwechsel - und so möchte auch ich als allererstes sagen: Es tut mir leid, dass du so lange warten musstest. Du sprichst ja in deinem Brief das INVENT/TURA-Projekt an (ein Projekt zum Thema "Erinnerungen" mit 2 Künstlern und 2 Autoren aus Bosnien und Herzegowina) - es ist Ende Juni zu einem guten, aber naturgemäß auch zeitaufwändigen und leicht stressigen Abschluss gekommen. Und dann war da noch die Reise nach Heidelberg und das Seminar in Stuttgart, die mich vom Schreiben abgehalten haben...
So kommt es auch, dass ich, obwohl ich seit einem Jahr in Mostar wohne, meinen ersten Brief ausnahmsweise aus Deutschland schreibe, erst übermorgen werde ich zurück nach BiH fliegen, mit diesem kleinen langsamen Flugzeugchen, das Frankfurt am Main und Sarajevo verbindet. Eva, Deutschland ist so blass. Das meine ich ganz wörtlich. Auch bei blauem Himmel und ungewöhnlich sommerlichen Temperaturen. Ich vermisse mein Gastland schon so, alles wirkt lebendiger dort. (In Berlin fällt das nicht so auf, in der nach wie vor erträglichsten Stadt Deutschlands, wie ich finde.) Ich hoffe, du wirst verstehen, was ich meine, wenn du mich im August in Mostar besuchen kommst.
Ich will dabei nicht verschweigen, dass ich - nach einer naiven Freude und Zuneigung, die die Stadt im Süden BiHs beim ersten Besuch in mir ausgelöst hat (mittels Grillenzirpen, grünem Neretva-Wasser und weißem Stein) mehrere Monate um eine gute Beziehung zu Mostar ringen musste. Denn die Stadt ist entlang einer Linie aus zerschossenen Häusern und gegenseitigen Beschuldigungen und ziemlich berechtigter Angst in einen muslimischen und einen katholischen Teil geteilt. Alles ist polarisiert dort und das, gelinde gesagt, nagt täglich an den Nerven.
Als ich mich im Jahr 2001 oder so für ein Komparatistik-Seminar zu zeitgenössicher Literatur aus Ex-Jugoslawien angemeldet habe, hätte ich bestimmt nicht gedacht, was daraus alles an verbindlichem Interesse und persönlicher Erfahrung entstehen würde. Erst in den letzten Monaten ist mir klar geworden, dass ich mich den Orten, die mir wirklich etwas bedeuten, ausnahmslos über die Literatur angenähert habe. Das sind bis jetzt Berlin, Sarajevo, Mostar und Istanbul. Als ich im April das erste Mal in Istanbul war, hätte ich die Bücher mit Kurzgeschichten und historischen Informationen nur so verschlingen können und das Gelesene hat sich sofort symbiotisch mit dem verbunden, was ich auf meinen Ausflügen und Stadtbummeln aufnehmen konnte.
Schade, dass mich meine Deutschlandreise diesmal nicht in die Hauptstadt geführt hat und wir uns daher nicht treffen konnten. Aber bald, bald besuchst du mich in dem "schöneren Land"! Darauf freue ich mich schon...
deine Sibylla