Montag, 24. März 2014

Liebe Eva,

unser armer Blog muss immer leiden, wenn sich Lyrik oder Wissenschaftliches (oder oder) arbeitstechnisch in den Vordergrund schieben, wenn das Leben uns übel mitspielt oder auch etwas Superschönes, aber Zeitaufwändiges passiert. Macht nichts, denke ich, denn wir sind ja ein privater Blog, der sich auch mal eine Auszeit erlauben darf.

Eine kleine Erinnerungsverwaltung zur Leipziger Buchmesse: Am Messegelände habe ich vor allem im internationalen Bereich gestöbert (Bosnien war scheinbar mit keinem Stand präsent). Es gab zum Beispiel eine interessante europäische Reihe zum Thema "Geld". Ansonsten war ich in der Stadt unterwegs. Am Freitag hab ich der Lesung unabhängiger Verlage gelauscht, am Samstag war ich in der Hochschule für Grafik und Buchkunst bei der "Teil der Bewegung"-Lesung. Diese war in vieler Hinsicht interessant. Mehrere Generationen vertreten, von Charlotte Warsen über Andreas Altmann bis hin zu Elke Erb. Es gab auch einige überzeugende internationale Stimmen, etwa Timothy Donnelly. Der Gegensatz zwischen sprachspielerischen und performativen Schreibkonzepten auf der einen und erzählerischen, inhaltsschweren auf der anderen Seite war an dem Abend stark. Charlotte Warsen, Friederike Scheffler und Julia Trompeter zelebrierten - auf komplett unterschiedliche Weisen - Sprachklang und Interaktion mit dem Publikum, während Sarah Rehm - derselben Generation angehörend - inhaltsschwere Gedichte las, in denen es um Themen wie Heimat, Krieg und - Bosnien (!) ging.

Ich habe Sarah ja als Autorin des (noch unveröffentlichten) Romans "Splitter in Gedanken", der einmal ausschnittsweise in der Edit veröffentlicht war und zu großen Teilen in Bosnien spielt, kennen gelernt. Bis heute kenne ich nicht das ganze Manuskript, aber etwas Besonderes ist das Werk auf jeden Fall - wegen der intensiven Beschäftigung mit einem Land durch eine Autorin, die keine biografische Verbindung zum Balkan hat und zum Zeitpunkt des Bosnienkrieges selbst noch Kind/Jugendliche war.

Ich selber hadere ja gerade mit den "großen Themen" - oder zumindest mit einer ungebrochen ernsten Auseinandersetzung damit. Worte wie "Heimat" stören mich (auch das Bild, dass im Ausland lebende Autoren und Autorinnen eine "Heimat in der Sprache" finden, finde ich fragwürdig, wer hat das eigentlich geprägt, Brecht? Oder ist das noch viel älter?). Auch das Wort "Vertreibung", das in einigen meiner Gedichte vorkommt (nicht im Kontext 45ff., sondern 92ff.), beginnt mich in seiner Schwere und Geschichte nachträglich zu stören, ist im jeweiligen Kontext aber nicht ersetzbar. Ich stimme dir auf jeden Fall zu, dass lesenswerte Gedichte meist Allgemeineres behandeln. Diesen Dingen können sie durch ungewöhnliche Perspektive und/oder Sprache etwas hinzufügen.

Noch eine böse Bemerkung zum Schluss: Es nervt irgendwie, wenn Lyriker/innen darauf rumhacken

- wieviel reflektierter und weniger Mainstream sie sind
- wieviel schlechter bezahlt und weniger beachtet sie sind



deine Sibylla