Dienstag, 23. Juli 2013

EKKUDEN, NOTIZ

Wir kommen näher. Die Müdigkeit gerinnt zum See
Der See gerinnt zu einer Erfahrung, die grau und offen ist
wenn ich diesen Ort verlasse. Die nackte, halbnackte
Gestalt eines Wortes, das mir entgleitet

Krümel von Asche und Fahrt
tellergroße Wolken. Das Gebet noch immer gut verpackt
Gebet an die Welt

Ich bin müde wie Gras, ausgedorrt wie der kubische Schatten
des Grases. Welt und Wildnis
die willenlos einfach, zweifach nicht will



Gedicht von Joachim Zünder


Joachim Zünder, *1956 in Troisdorf, Nordrhein-Westfalen, lebt heute als Schriftsteller und Verleger in Berlin. Dort hatte er an der FU Biochemie studiert, bevor er mehrere Jahre im Ausland verbrachte, vor allem in nordeuropäischen Ländern. Er veröffentlichte bisher drei Gedichtbände, zuletzt den Band "Rauchgeister" im selbst gegründeten Independent-Verlag "Kaamos Press" (2011). Die Reflexion über Orte, an die er gereist ist, ist in seinen Gedichten häufig Mittel des Nachdenkens über das Schreiben selbst.

Mittwoch, 17. Juli 2013

Liebe Eva,

es ist Sommer und das Fernweh ist groß. Alle anderen scheinen sich einen Urlaub leisten zu können. Vorm Einschlafen rufe ich mir mein sinnliches Mostar in Erinnerung, sonne mich ein bisschen darin. Ja, ich habe mir schöne Ersatzhandlungen ausgedacht und erlebe manche glückliche Sommerminute. Auf dem Weg zum Supermarkt setze ich mich kurz auf eine Bank und träume vor mich hin. Es gibt nichts Schöneres als diese Nachmittage, an denen alles etwas langsamer und träger ist von der Wärme, das Licht wird zum Abend hin gelber und eine schillernde Fliege setzt sich auf meine Sandale um sich ebenfalls dem Nichtstun hinzugeben. Kaum zu glauben, dass ich mich in einer Großstadt befinde, auf der Leipziger "Karli", die allerdings teilweise wegen Bauarbeiten brach liegt. Ich glaube, in solchen Momenten profitiere ich unbewusst - genau wie beim Mostar-Einschlafritual - von schönen Erlebnissen aus der Vergangenheit. Einer sommerlichen Nachmittagsstunde als Grundschülerin, an der die Hausaufgaben bereits erledigt waren und ich mich absolut frei und sorglos fühlte, einem Urlaub am Meer, in dem ich mich nach dem Schwimmen von der Sonne trocknen ließ oder einem Ausflug zum See, wo ich als Studentin auf der Wiese saß und mit den Zehen wackelte.

Und ich denke dann halbgare Dinge wie: Mit steigendem Alter wird alles übersichtlicher. Die Jahreszeiten, die Pläne, die man noch verwirklichen kann, die Personen, die etwas bedeuten. Und man ist froh, wenn man noch einmal überrascht wird und die Dinge ein bisschen außer Kontrolle geraten. Vielleicht ist das der Grund, warum manche Menschen mehrmals ein komplett neues Leben anfangen. Nicht so direkt aus Langeweile, aber weil man sich wundert, "ich habe doch noch gar nicht alles erledigt".

Als nächsten Gastbeitrag wählten wir - nach der Sommerpause im Juni - einen Text aus, der durchaus ein Reise- und Urlaubsgedicht ist. Gleichzeitig aber auch sehr melancholisch. Er zeigt, dass es nicht das Verreisen allein ist, das die Sehnsucht erfüllt. Manchmal kommt man einfach nirgendwo richtig an. Vielleicht ein bisschen als Appell an alle, die in diesem Jahr nicht wegfahren können und sich den Rest der Menschheit am Meer aalend vorstellen. (Nichts kann die Vorstellungskraft so sehr beflügeln - und irreführen - wie Neid.)

Dir wünsche ich noch schöne Tage auf deinen verschiedenen Fahrten innerhalb Deutschlands in diesem Monat - und freue mich schon, dich im September aus besonderem Anlass wiederzusehen!

deine Sibylla