Freitag, 22. März 2013

Gliwice (Gleiwitz)

Verrostete Eisenbahnwaggons
Unkraut auf dem Bahnsteig
kniehohes Gedankenversteck
für Busengrapscher
Auf dem allerletzten Meter Bahnsteig
Nicht mehr hier und noch nicht fort
das wehende Haar kann sich nicht entscheiden
der frisch geputzte Glaskasten
mit der leuchtenden
Marienfigur
mit schräg gehaltenem Kopf
die sich auch nicht entscheiden kann

Gedicht von Tanja Dückers

Tanja Dückers, *1968 in Berlin (West), lebt als Autorin von Prosa, Lyrik und Essays in Berlin. Zuletzt erschienen der Gedichtband "Fundbüro und Verstecke" (2012), dem das Gedicht oben entstammt, und der Roman "Hausers Zimmer" (2011), beide im Schöffling Verlag. Sie hat zahlreiche Preise, Stipendien und Lehraufträge (international) erhalten. www.tanjadueckers.de

Samstag, 9. März 2013

Liebe Sibylla,

sind die ersten Frühlingsvorboten auch schon bei euch in Leipzig vorbeigekommen? Es war ja leider erst mal ein kurzer Besuch – aber er hat meine Vorfreude auf Frühling und Sommer voll geweckt. Ich merke meist den Winter über gar nicht, wie sehr mir die Sonne fehlt, bis sie dann mit ihrer ganzen Kraft zurückkommt und die ersten Blüten zu sehen sind.

Nachdem sich am 11. Februar der Todestag von Sylvia Plath zum 50. Mal gejährt hat, war Ende Februar/Anfang März noch ein weiteres trauriges Dichterinnen-Jubiläum: der 70.Jahrestag der Verschleppung und Ermordung von Gertrud Kolmar. Sie wurde am 27.02.1943 während der Zwangsarbeit in einer Rüstungsfabrik verhaftet und nach Auschwitz verschleppt, wo sie am 03.03.1943 ankam und vermutlich noch am selben Tag in der Gaskammer getötet wurde. Ich hatte das Datum gar nicht so genau im Kopf und bin erst durch Fixpoetry darauf aufmerksam geworden. Dort war eines ihrer Gedichte aus diesem Anlass als Gedicht des Tages gepostet. Leider habe ich es gerade im Archiv nicht wiedergefunden und weiß nicht mehr, welches ausgewählt wurde. Natürlich musste ich so auch an unsere gemeinsame Teilnahme an der Gertrud Kolmar-Konferenz „Fremd unter Menschen“ in Weimar denken, die diesen Monat genau drei Jahre zurückliegt. Aufregend und schön war’s! Dabei ist auch der Schnappschuss entstanden, den ich anhänge.

Übrigens bin ich dir dankbar, dass du mich nochmal auf den Feldkircher Lyrikpreis aufmerksam gemacht hast. Nachdem ich das Motto „satt liegt deine hand in der wölbung meines rückens“ zunächst doof fand – zu kitschig, zu sehr Liebeslyrik, kann ich nun, seit ich mich einmal darauf eingelassen habe, doch was damit anfangen. Ich finde es spannend, zwischen Gefühlserzeugung und Kitschvermeidung auszutarieren. Sowieso finde ich, dass die junge zeitgenössische Lyrik oft zu distanziert, kühl und unpersönlich ist - zu sehr auf ihren intellektuellen Reiz setzt. Zumindest gibt es eine Tendenz zu leisen Tönen und selten großes Drama, und ich nehme mich da gar nicht aus.

Bin schon gespannt auf die Messe. Sehen uns dann Freitag in Leipzig,
deine Eva