Freitag, 28. Dezember 2012

Ausbruch der Madonnen

In gesprenkelte Helligkeit
brachen sie aus. Kirchenlicht
fürs Jenseits geschminkt.
Eine Gnadenbildmadonna
eine Madonna mit dem Kinde
eine einstmals mit dem Kinde
eine sterbende Madonna
fielen aus dem Steingemäuer
jener Art Verlies, gewöhnlich
von Stiefmüttern bewohnt
und ausgedienten Hexen.
Die Heizkörper lehnten
an den Kirchenbänken
die Klempner verschwanden
in die Brotzeit. Ich blieb allein
das Schiff schwankte im Schweigen.
Da regte sich ein blasses
steinzerkratztes Wesen
da rollte zag aus dem Versteck
die Letzte ihrer Reihe:
Vesperbildmadonna,
den toten Jesu steif im Arm
plumpste hölzern mir zu Füßen –
vor meine Füße, Frau Äbtissin!
Spät lag ich wach an diesem Tag
sah meine Zehen an,
zehn kleine Wunder.

Gedicht von Nora Bossong

aus der Anthologie "Poesie und Stille", Wallstein Verlag, 2009.

Nora Bossong, *1982 in Bremen, lebt heute in Berlin. Sie studierte Kulturwissenschaft, Philosopie und Literatur an vielen Orten, u.a. in Rom und in Leipzig, am Deutschen Literaturinstitut. Nora Bossong schreibt Lyrik und Prosa, sie hat in beiden Genres bereits mehrere Einzelveröffentlichungen. Zuletzt erschien 2012 der Roman "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" im Hanser Verlag.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

Liebe Sibylla,

lustig, dass du in deinem letzten Brief deine Irritation über die Allgegenwart von Jack Wolfskin-Bekleidung geäußert hast. Mir sind der Wandel oder zweifelhafte Aufstieg der Marke auch schon ohne den räumliche Abstand aufgefallen, was mich z. B. letzte Ostern an der Ostsee, wo es auch einen ganzen Store an der Strandpromenade gab, zu einem privaten Mini-Vortrag zum Thema verleitet hat. Mitte der 80er Jahre hat mein Vater einen großen schwarzen Wanderrucksack mit pinkem Rückenteil und der Tatze gekauft, den ich dann als Jugendliche übernommen und erst vor ein-zwei Jahren in recht zerfetztem Zustand aufgegeben habe – für meinen Rücken war er eigentlich immer zu breit, aber ich mochte ihn sehr. Vor ein paar Jahren ist Jack Wolfskin dann, besonders dominant (es gibt ja noch ein paar andere Marken mit ähnlichen Entwicklungen), von der Spezialausstattung zur Alltagsmarke geworden – inklusive Fußball-Bandenwerbung, eigener Stores usw. Die Label-Kennzeichnung an den einzelnen Teilen ist dabei ebenfalls ausufernder geworden, die Tatze immer an mehren Stellen – gedruckt und in Leder aufgenäht – zu finden. Seitdem sind auch deutsche Innenstädte ein einziges wildes Outdoor-Gelände. Eine dezente Tatze hier und da war mir lieber. Habe sie sowieso lange für einen Bär und nicht, obwohl natürlich naheliegend, einen Wolf gehalten, was ich auch sympathischer fand. Von einsamen Wölfen kann jedenfalls keine Rede sein.

So, Zeit für einen kurzen Jahresrückblick. Beruf: Es war auf jeden Fall sehr angenehm, das ganze Jahr dank des Stipendiums abgesichert zu sein und der gleichen Tätigkeit nachgehen zu können. Schade, dass es nächstes Jahr schon wieder vorbei ist. Familie: Als Herausforderung nicht zu unterschätzen. Zahl der besuchten Hochzeiten bleibt konstant bei leicht rückgängiger Tendenz (noch keine Einladung für nächstes Jahr). Endlich zwei neue Babys im näheren Freundes- und Familienkreis. Schreiben: Die Freude über die ersten Anthologie-Veröffentlichungen macht süchtig nach mehr. 

Ich wünsche euch schöne und friedvolle Feiertage und einen guten Rutsch!

Liebe Grüße
Eva