Montag, 21. Februar 2011

Liebe Sibylla,

danke für die zwei Versionen deines Gedichts. Mir gefällt, wie sich Tiefe und Leichtigkeit abwechseln und schwere Gedanken dynamisch daher kommen. Besonders gut gefällt mir der konkrete Einstieg mit dem Haar und dem Halbmond-Fingernagel. Das mit dem Ei ist lustig, aber vielleicht doch etwas gewollt. Du spekulierst ja auch, wie du wohl darauf kamst... Ich finde die Übersetzung gelungen, es geht nichts verloren und die letzte Zeile klingt sogar runder. Zur Titel-Übersetzung bin ich mir nicht sicher – „going“ ist besser als „travelling“, das ist zu einschränkend – vielleicht wären „On the road“ oder "Moving" auch eine Möglichkeit.

Unser letzter Gastbeitrag, das Gedicht von Christophe Fricker, gefällt mir sehr. Ich mag die Mischung aus konkreter Szenerie, kleiner Geschichte und originellen Beschreibungen. Ort und Gefühl sind gut nachvollziehbar. Ich hätte auch Lust, nochmal in einem Diner in Amerika zu sitzen. Auch wenn Abenteuerlust und Freiheit fremd und allein schnell in Trostlosigkeit umschlagen können, auch ohne Regen.

Bei meinen eigenen Texten habe ich gerade eine ziemlich selbstkritische, frustrierte Phase. Ich denke, es fehlt an einem durchgängigen Stil und vieles bleibt oberflächlich und willkürlich. Gebe mich von den eigenen Wörtern zu schnell beeindruckt. Man liest ja auch die eigenen Hintergedanken immer mit. Kann mich oft nicht entscheiden, ob etwas gut einfach, im Sinne von konkret, oder zu einfach, einfach einfallslos ist. In der Hinsicht fehlt mir der kritische Austausch, den wir im Schreibkurs hatten. 

Viele Grüße aus dem eisigen aber sonnigen Berlin,

deine Eva

Dienstag, 15. Februar 2011

Mistwetter und Elmo’s in Durham

Notizen auf einem durchgeweichten Briefumschlag

Draußen regnet es verbiestert.
Die Stadt mit den amputierten Armen
Kann sich die Hosenbeine nicht hochkrempeln.
Das Wasser legt sich auf den Rasen.
Irgendwann gibt es nur noch Heimwege.

Aber ich gehe allein in meinen Diner.
Das Gemüse heute kommt drauf an,
Die Suppe des Tages ist Schicksal.
Die Rechnung kommt gleich mit dem Essen,
Als ginge es Zahn um Zahn.

Draußen vergeht mir bald die Widerborstigkeit.
Die nasse nächste Ampel macht sich wichtig.
Der Fahrradfahrer glaubt, er hätte eine Chance.
Ich stimme einen Sprechchor an,
Nur innerlich natürlich, und fordere,

Daß morgen alles besser wird.


Christophe Fricker hat von 2006 bis 2010 in Durham, North Carolina, gelebt und Deutsch unterrichtet. Elmo’s war sein Lieblingsrestaurant. Sein Gedichtband "Das schöne Auge des Betrachters" erschien 2008 im Verlagshaus J. Franck in Berlin. 2009 erschien Frickers Buch "Larkin Terminal", eine Sammlung von 12 Porträts von Menschen und Orten auf verschiedenen Kontinenten. Im Januar 2011 leitete Christophe Fricker in Mostar, Bosnien und Herzegowina, einen Lyrik-Workshop für Studierende der Germanistik.

Montag, 7. Februar 2011

Liebe Eva,

gestern habe ich ein melancholisch-lustiges Gedicht von mir gefunden, das auch zu unserem Blog-Thema passt. Es ist schon einige Jahre alt, leider undatiert.

Fahren

wir ziehen weiter wir lassen zurück
ein Haar einen kleinen Halbmond Fingernagel
immer ein Stückchen von uns
wir fahren und verlieren uns
an Orte Personen Träume die nicht
transportabel sind so sind wir zerstreut
wie Salz auf einem hart gekochten Ei


Warum ausgerechnet wie Salz auf einem hart gekochten Ei? War das nur ein kleiner Witz oder habe ich mir etwas dabei gedacht? Und ist das Ei überhaupt schon gepellt? Diese Frage wurde mir ernsthaft gestellt, aber ich denke doch! Wer streut Salz auf ein ungepelltes Ei? Vielleicht deswegen das Bild, weil Salzkörner auf gepellten Eiern immer so ein seltsames glasiges Aussehen annehmen, so dass jedes einzelne hervorgehoben wird? Vielleicht war es auch eine assoziative Verbindung auf der lexikalischen Ebene von "zerstreut" zu "Salzstreuer"...

Ich möchte einfach mal denken, dass es deswegen um Salzkörner und hart gekochte Eier geht, da unsere Zerstreutheit an unterschiedlichste Orte und Menschen doch letztendlich dem Ganzen die Würze gibt!

Aus Vorzeigezwecken habe ich übrigens auch ins Englische übersetzt, wie findest du die Version?

Going (Travelling?)

we go further we leave behind
a hair a little half-moon fingernail
always a bit of us
we go and loose ourselves
to places persons dreams which are not
portable so we are scattered
like salt on a hard-boiled egg

Bis bald,
deine Sibylla

Samstag, 15. Januar 2011

Jerichokaleidoskop

Nicht die Spur Verdunkelung, Kreuzschnäbel, zwitschernd
von Spannung, diesseits Giraffen in langsamen Bauen
hungrig auf Sand und die Fundamente für morgen
gerüstet zu sehen, das war der Dreh: alles durchschaubar

und unverständlich. Die Nächte sprachen Pidgin
mit dem Rudel, zu sagen, das Gelichter jagte
einem unter die Lider weiße kreisende Stunden,
klänge nach etwas, das uns nicht erreichte.

Schon Personal der Träume unserer Hälfte
dieses steinern dämmernden Hirns, spielten wir
Insulaner, die das Festland wunderte, das Fließen
von Verkehr, Verschollene. Wiederholungen

Holungen. Was von drüben aus: eine Gefahr,
die uns vor einer anderen retten sollte, und durch welche
Gläser, übertrieb man wie wir mit unseren Scherben?
Die schwärzten wir der halben Sache zum Trotz, die Sonne

verschwand nicht ganz, sie hinterließ uns
fast das Fliederdickicht. Woran ich mich erinnere,
ist unser Warten, zusammengedrängt auf dem Weg.

von Sylvia Geist

erschienen in: Vor dem Wetter. Gedichte. Luftschacht Verlag, Wien 2009.


Sylvia Geist, *1963 in Berlin, lebt in Hannover und Vancouver. Zuletzt erschienen die Novelle „Der Pfau“ (2008) und der Gedichtband „Vor dem Wetter“ (2009), im März 2011 kommt ein Erzählungsband unter dem Titel „Letzte Freunde" heraus (alle im Luftschacht Verlag, Wien). Mehr unter www.sylvia-geist.de.

Sonntag, 9. Januar 2011

Liebe Sibylla,

ich schreibe dir heute nur kurz. Genau wie du, bin ich völlig von dem Kolmar-Aufsatz absorbiert. Wieviel Arbeit das ist… Dazu bin ich noch angeschlagen. Ne, aber ich habe schon noch mal gemerkt, wie schwierig und aufwendig wissenschaftliches Schreiben ist. Wenn man was geschafft hat, ist man natürlich auch froh. In diesem Fall haben die Formatvorlagen noch zusätzlichen Aufwand gekostet. Und die Literaturbeschaffung ist nicht zu unterschätzen. Wie viele Stunden alleine dafür drauf gehen. Und dann fährt man für zwei Bücher zwei Stunden durch die Stadt in zwei verschiedene Bibliotheken. War zu diesem Anlass gestern das erste Mal im Grimm-Zentrum. Es ist schon beeindruckend und auch gut organisiert, aber im ersten Moment völlig verwirrend. Bin zwei Treppen in den Keller gelaufen, um dort festzustellen, dass man sich ein eigenes Vorhängeschloss für die Schließfächer mitbringen muss. Im Foyer sind neue Schränke, die man mit der Mensa-Card abschließen kann. Die hatte ich immerhin, am Fach dann rausgefunden, sie muss erst aktiviert werden, zurück zum Automat. Dann habe keinen Aufzug gefunden, in den 5. gelaufen, am Ausgang musste ich mich erstmal mit dem Ausleihautomat vertraut machen usw. Zusätzlich bin ich bei jedem Bibliotheksbesuch erschüttert, wie viele Leute dort hinströmen, auch vor Ort arbeiten. Und gestern war Samstag.

Wenn ich lese, lese ich gerade eine Biographie über die mexikanische Fotografin Tina Modotti. Finde sie nur mittelmäßig interessant und gut geschrieben, aber was mir gefallt sind die Orte: San Francisco, L.A. und Mexiko Stadt. Habe sie geschenkt bekommen, hatte sie schon eine Weile liegen und kam dann mit einer Kollegin, die über indigene Völker in Mexiko geforscht hat, auf sie zu sprechen. Die Geschichte mit dem Buch davor geht genauso, Gespräch mit Kollegem, Erinnerung, dass das geschenkte Buch noch ungelesen zuhause liegt, geweckte Neugier. Nur das Ergebnis war besser, war sehr positiv überrascht von Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“. Es ist wirklich gut geschrieben, interessant und lustig.

So genug für heute. Bald sehen wir uns ja auch!

Viele Grüße,

deine Eva