Montag, 30. Dezember 2013

Liebe Sibylla,

nochmal offiziell herzliche Glückwünsche zum Preis und zum frischen, schicken Poetenladen-Profil www.poetenladen.de/sibylla-vricic-hausmann.php. In lyrischer Hinsicht kann der Jahresrückblick somit positiv ausfallen, würde ich meinen.
Mein 2013 war literarisch zwar einigermaßen produktiv, aber es gibt noch viel Luft nach oben. Privat und beruflich habe ich dieses Jahr gut abgesahnt, wobei es sich teilweise um Vorschusslorbeeren handelt. Das nächste Jahr wird dann einiges an Disziplin erfordern, um den Dingen auch gerecht zu werden. 

Jetzt gerade befinde ich mich aber eh in einer ganz anderen Zeitrechnung. Mit einem Neugeborenen wird – wie du weißt, man aber im ganzen Ausmaß wieder vergisst – jeder kleine Gang nach draußen zu einer großen Aktion. Die gleiche Wohnung wird plötzlich anders genutzt und man versucht, alles Mögliche gleichzeitig zu machen. Baby im Arm, den Größeren bei Laune halten, Kochen und immer wieder was wegräumen oder beim Stillen, weil man ja eh gerade sitzt, den Computer auf den Knien balancieren.
Von daher schreibe ich heute auch nur ganz kurz und wünsche dir (und allen anderen) einen guten Rutsch und das Beste für 2014! Merke gerade, wo ich die Zahl schreibe, dass mir das neue Jahr wirklich Respekt einflößt. Also, toi, toi, toi. 

Viele liebe Grüße
Eva

Donnerstag, 28. November 2013

In den Schären

Wir sitzen auf grob gezimmerten Bänken
Der Wind trägt die Salzluft zur holzgrauen Hütte
Ein blonder Geschwisterreigen zieht vorbei
Würfelt sich durchs hohe Gras hinunter zum Strand
Wir hören die Sprünge vom Landungssteg
In die kalte Baltische See
Mittags das Signalhorn der Fähre vom Festland
Du pfeifst mit blauen Zähnen
Sortierst deine losen Blätter
Beschwerst sie mit dem Kartoffelmesser
Ich trenne Blaubeeren von Preiselbeeren
Und schreibe in mein Heft:
Der heutige Tag: primär zyanblau.

Gedicht von Sandra Hubinger


Sandra Hubinger ist in Oberösterreich aufgewachsen. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Salzburg und Manchester. Danach Lehrtätigkeit in Frankreich und Österreich. Sie schreibt Lyrik,  Prosa und Theatertexte und veröffentlichte Gedichte in mehreren Lyrikzeitschriften (Kaskaden, die Lyrikzeitschrift, Augustin). Zur Zeit studiert sie Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien. 2013 erhielt sie den Feldkircher Lyrikpreis (3. Platz) für einen Zyklus von Gedichten, die sich mit dem Vers "satt liegt meine Hand in der Wölbung deines Rückens" von Elisabeth Steinkellner auseinandersetzen. Zu diesem gehört auch ihr Gastbeitrag "In den Schären". Aus der Begründung der Jury: "Sandra Hubingers Aufmerksamkeitsradar richtet sich auf ein Gegenüber, dieses "Ich" sucht den Kontakt, der im Idealfall die Begrenzung des Eigenen überschreitet, sich öffnet, einfühlt in die Stimme des Anderen, sich bei ihm Ausruhen möchte, vermittelt stets über die Aufzeichnung von Sinneseindrücken des Sehens/Sprechens/Hörens, niemals als gefühlsselige Beschwörung von Rauschzuständen." 

Montag, 11. November 2013

Liebe Eva,

nach Feldkirch gefahren, Preis erhalten, aufgeregt gewesen, dankbar gewesen, gelesen und sehr gut gefrühstückt im ehemaligen Hotel Alpenrose (jetzt "Gutwinski"). Den ersten Preis bekamen Tabea Xenia Magyar und Tristan Marquardt für eine Gemeinschaftsarbeit, einen Zyklus von vier Gedichten. Als G13-Mitglieder meinen sie es wirklich wörtlich mit dem Lyrikkollektiv, es geht in letzter Konsequenz um gemeinsames Schreiben, mehrstimmige Gedichte. Wahrscheinlich war das bekannt - aber mir wurde es erst in Feldkirch deutlich. Interessanter, in vieler Hinsicht funktionierender Ansatz. Der Gewinnerzyklus sehr atmosphärisch und mal wieder ein Beweis, wie wichtig der Form-Gedanke, eine konsequente und harmonische äußere Gestaltung für Gedichte heute ist.

Hier kann man die Gewinnertexte anschauen:

http://www.saumarkt.at/lyrikpreis/feldkircher-lyrikpreis-2013-preistr%C3%A4gerinnen

Dass Lyriker/innen eng zusammen arbeiten, voneinander lernen und sich beeinflussen halte ich für den Normalzustand. Kann ein Gedicht fertig sein, bevor es von einer anderen Poetin wahrgenommen und kommentiert worden ist? Vielleicht, aber das ist eher die Ausnahme und möglicherweise ist es dann trotzdem Ergebnis von Gesprächen oder Leseerlebnissen mit Gedichten anderer Lyriker, die dem eigenen Schreiben vorausgegangen sind. In der Poesie ist es wohl wichtiger denn je, auf dem neuesten Stand über Trends und Entwicklungen zu sein, also im Austausch zu stehen mit Gleichgesinnten. Nichts wirkt so schnell antiquiert oder ungeschickt wie Lyrik ohne Bezug zu aktuellen Poetiken - und das hat noch nichts mit Talent zu tun.

Trotzdem halte ich es für wichtig, eine eigene Stimme zu entwickeln, rein aus praktischen Gründen. Auf Lesungen bekomme ich regelmäßig die Rückmeldung, dass meine Gedichte "berührt" hätten. Ich freue mich darüber, denn das heißt ja, dass ich etwas gegeben habe, Anregungen, Unterhaltung, Gefühl. Mehr als was man gelegentlich "Wortgeklingel" nennt. Es fiel in Feldkirch auch mehrmals der Begriff "Lebensbegleiter" für Gedichte, die manchen Lesern und Leserinnen langfristig etwas schenken. Solche Gedichte zu schreiben wäre erstrebenswert. Sind Gedichte aber weniger intellektuell, wenn sie unmittelbaren Zugang ermöglichen, auch nicht "Eingeweihten", eine persönliche Botschaft vermitteln, ein Gefühl?

Noch eine kleine Randbemerkung zur Stadt Mostar, der wir in unserem Blog ganz besonders verbunden sind: Am geschichtsträchtigen 9. November war der 20. Jahrestag der Zerstörung der alten Brücke. Dazu empfehle ich folgende Doku, die noch bis kommenden Samstag online ist:

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/gesichtereuropas/2272624/

Und um diesen "informativen" Brief komplett zu machen, noch der Link zu deinem neuen Poetenladen-Profil, das sehr schön und repräsentativ geworden ist:

http://www.poetenladen.de//eva-brunner.php

Ich denke dieser Tage viel an dich und freue mich, bald von dir zu hören!

Sibylla

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Beeren

Ich füttere das Baby mit Beeren
den ganzen Sommer lang
zuletzt Blaubeeren und Himbeeren

Außen der samtige Pelz
Perle an Perle im blassen Rot
Reihe für Reihe aufgespannt
saftig und tiefrot das Innere

Beim Abspülen achten auf die Strahlstärke
das zarte Perlengehäuse soll nicht brechen
Samt und Saft sich erst im Mund vermischen

Der kleine Obststand an der Ecke
mit den Beeren aus Beelitz ist jetzt abgebaut
rund und dick der Babybauch

Donnerstag, 19. September 2013

Liebe Sibylla,

jetzt ist der Sommer schon wieder vorbei. Für mich ist es aber ok. Wettermäßig kann man sich dieses Jahr nicht beklagen, so dass auch die Daheimgebliebenen, wie du, und die Deutschlandreisenden, wie ich, einen richtigen Sommer hatten. Außerdem freue ich mich dieses Jahr wegen des erwarteten Nachwuchses mal richtig auf November. Ansonsten wirken bei mir gerade noch die anderen persönlichen Veränderungen nach. Bin froh und erleichtert, dass wir eine schöne Hochzeit hatten. Es fiel uns schon sehr schwer, uns für das Überhaupt und das Wie zu entscheiden. Jetzt sind wir beide zufrieden, und ich muss sagen, dass es sich wirklich anders anfühlt. Es ist schon mehr als ein bürokratischer Akt, deswegen fiel es uns ja auch schwer. Es ist praktisch, dass ich jetzt endlich, z. B. beim Arzt, ganz richtig „von meinem Mann“ sprechen kann, was einfach nach vielen Jahren und gemeinsamen Kind besser passt als „mein Freund“. „Mein Partner“ klingt zu sehr nach Business oder Sport und scheidet daher auch aus. Am Anfang der Elternschaft habe ich mich noch recht jung gefühlt und fand es schwer genug, mich überhaupt mit der Elternrolle zu identifizieren, so dass ich gerne durch die Formulierung „mein Freund“ betont habe, dass wir nicht verheiratet sind. Das hat sich dann schleichend geändert, von den staatlichen Bevorzugungen für Verheiratete, die man sich auf Dauer kaum entgehen lassen kann, ganz zu schweigen. Auf jeden Fall fühle ich mich jetzt, auch durch die Hochzeit, nochmal ein ganzes Stück erwachsener, sicherer und auf eine Art auch unabhängiger – natürlich nicht in der Beziehung, sondern eher dem Rest der Welt gegenüber.

Fand es auch toll, dass wir uns durch den Anlass nochmal gesehen haben. Wir müssen uns unbedingt regelmäßig besuchen! Und dann immer zusammen zu einer Literaturveranstaltung  gehen. Letzte Woche wäre ich sehr gerne mit dir beim Literaturfestival gewesen. Habe noch zwei Anläufe gestartet, eine Begleitung für eine Veranstaltung mit J.M. Coetzee zu finden. Er hat aus seinem Briefwechsel mit Paul Auster gelesen. Da ich von beiden Autoren ein paar Bücher gelesen habe, dachte ich, es sei ganz interessant, auch für unser Blog, zu schauen, was sie aus dem Briefformat machen. Außerdem wollte ich nochmal kurz in die Festivalatmosphäre eintauchen. Meine eigene Beteiligung in der Organisation liegt nun ja schon neun und zehn Jahre zurück – unglaublich, wie die Zeit vergeht. Für morgen bin ich zu einer kleinen Buchvorstellung eingeladen worden, so richtig schriftlich mit Karte. Da würde ich dich auch so gerne mitnehmen. Habe mir aber jetzt vorgenommen, alleine hinzugehen, obwohl es mich Überwindung kostet. 

Ich wünsche dir einen schönen Start in den Herbst,

deine Eva

Sonntag, 18. August 2013

Und wie wir endlich zum Mond kamen, war's ein Stück faul Holz

Bisweilen ist es gut ein wenig Abstand zu nehmen
Von all diesen Geschichten zwischen Schreibtisch und Bett
Und einmal so durchzuatmen wie der Astronaut Chris Hadfield.
Als er Space Oddity in einer Raumstation sang

In jenem schwerelosen Zustand der uns beruhigen soll
Und glauben lassen dass die Erde immer noch kein umgestürzter Hafen sei
Und dass sich noch alles um alles drehe sagst du
Und ich schaue dir zu wie du das Atmen vor dem Spiegel übst

Um mir zu beweisen dass wir beide
Noch am Leben sind und sich etwas wie Zärtlichkeit einstellt
Wenn die Luft in den Lungen ausreicht um
Sich in den luftleeren Raum fallen zu lassen und dennoch zu singen


Gedicht von Ursula Teicher-Maier


Ursula Teicher-Maier lebt in und um Darmstadt. Zuletzt erschien ihr Lyrikband "Das Reiben der Vögel an Mozart", Horlemann Verlag 2013. Sie erhielt den Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis für Literatur und andere Ehrungen und arbeitet in der Künstlerinnen-Gruppe „fishing for art“ in der Darmstädter Kunstfabrik mit, ist außerdem Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller, Hessen und Mitglied der Europäischen Autorenvereinigung DIE KOGGE. ursula-teicher-maier.de

Dienstag, 23. Juli 2013

EKKUDEN, NOTIZ

Wir kommen näher. Die Müdigkeit gerinnt zum See
Der See gerinnt zu einer Erfahrung, die grau und offen ist
wenn ich diesen Ort verlasse. Die nackte, halbnackte
Gestalt eines Wortes, das mir entgleitet

Krümel von Asche und Fahrt
tellergroße Wolken. Das Gebet noch immer gut verpackt
Gebet an die Welt

Ich bin müde wie Gras, ausgedorrt wie der kubische Schatten
des Grases. Welt und Wildnis
die willenlos einfach, zweifach nicht will



Gedicht von Joachim Zünder


Joachim Zünder, *1956 in Troisdorf, Nordrhein-Westfalen, lebt heute als Schriftsteller und Verleger in Berlin. Dort hatte er an der FU Biochemie studiert, bevor er mehrere Jahre im Ausland verbrachte, vor allem in nordeuropäischen Ländern. Er veröffentlichte bisher drei Gedichtbände, zuletzt den Band "Rauchgeister" im selbst gegründeten Independent-Verlag "Kaamos Press" (2011). Die Reflexion über Orte, an die er gereist ist, ist in seinen Gedichten häufig Mittel des Nachdenkens über das Schreiben selbst.

Mittwoch, 17. Juli 2013

Liebe Eva,

es ist Sommer und das Fernweh ist groß. Alle anderen scheinen sich einen Urlaub leisten zu können. Vorm Einschlafen rufe ich mir mein sinnliches Mostar in Erinnerung, sonne mich ein bisschen darin. Ja, ich habe mir schöne Ersatzhandlungen ausgedacht und erlebe manche glückliche Sommerminute. Auf dem Weg zum Supermarkt setze ich mich kurz auf eine Bank und träume vor mich hin. Es gibt nichts Schöneres als diese Nachmittage, an denen alles etwas langsamer und träger ist von der Wärme, das Licht wird zum Abend hin gelber und eine schillernde Fliege setzt sich auf meine Sandale um sich ebenfalls dem Nichtstun hinzugeben. Kaum zu glauben, dass ich mich in einer Großstadt befinde, auf der Leipziger "Karli", die allerdings teilweise wegen Bauarbeiten brach liegt. Ich glaube, in solchen Momenten profitiere ich unbewusst - genau wie beim Mostar-Einschlafritual - von schönen Erlebnissen aus der Vergangenheit. Einer sommerlichen Nachmittagsstunde als Grundschülerin, an der die Hausaufgaben bereits erledigt waren und ich mich absolut frei und sorglos fühlte, einem Urlaub am Meer, in dem ich mich nach dem Schwimmen von der Sonne trocknen ließ oder einem Ausflug zum See, wo ich als Studentin auf der Wiese saß und mit den Zehen wackelte.

Und ich denke dann halbgare Dinge wie: Mit steigendem Alter wird alles übersichtlicher. Die Jahreszeiten, die Pläne, die man noch verwirklichen kann, die Personen, die etwas bedeuten. Und man ist froh, wenn man noch einmal überrascht wird und die Dinge ein bisschen außer Kontrolle geraten. Vielleicht ist das der Grund, warum manche Menschen mehrmals ein komplett neues Leben anfangen. Nicht so direkt aus Langeweile, aber weil man sich wundert, "ich habe doch noch gar nicht alles erledigt".

Als nächsten Gastbeitrag wählten wir - nach der Sommerpause im Juni - einen Text aus, der durchaus ein Reise- und Urlaubsgedicht ist. Gleichzeitig aber auch sehr melancholisch. Er zeigt, dass es nicht das Verreisen allein ist, das die Sehnsucht erfüllt. Manchmal kommt man einfach nirgendwo richtig an. Vielleicht ein bisschen als Appell an alle, die in diesem Jahr nicht wegfahren können und sich den Rest der Menschheit am Meer aalend vorstellen. (Nichts kann die Vorstellungskraft so sehr beflügeln - und irreführen - wie Neid.)

Dir wünsche ich noch schöne Tage auf deinen verschiedenen Fahrten innerhalb Deutschlands in diesem Monat - und freue mich schon, dich im September aus besonderem Anlass wiederzusehen!

deine Sibylla

Mittwoch, 26. Juni 2013

Ausflüge auf dem Sofa: Stefanie Kempers „Orte – Lyrische Impressionen aus allen Himmelsrichtungen“


Reisen tut Lyrikern gut. Das ist nicht erst erwiesen, seit Stiftungen aller Couleur Programme anbieten, in denen sie Schriftstellerinnen mit einem Reisestipendium in die Welt schicken und ihre neuen Eindrücke literarisch umsetzen lassen. Besonders für das Schreiben von Gedichten ist es wichtig, Darstellungsmöglichkeiten mit dem Blick auf ein neues, ungewohntes – und ungewöhnliches    Äußeres zu erweitern.

Samstag, 25. Mai 2013

Mittelfeld

ich spiele
im Mittelfeld
wenn mich
jemand
fragen würde
wo ich spiele
würde ich sagen
Mittelfeld
und nur für mich
noch dazu:
eigentlich Sturm

Gedicht von Anna Breitenbach

Anna Breitenbach, *1952 in Hessen, lebt als Autorin, Poetin und Wortaktionistin in Esslingen und Elmo/Italien. Ihr Gedichtband "Feuer. Land" erschien 2003, für ihren Roman "Fremde Leute" (2000) erhielt sie den Thaddäus Troll-Preis. Das Gedicht "Mittelfeld" stammt aus einer ganzen Reihe von Fußballgedichten. Mehr auf annabreitenbach.de und im DaWanda Shop poetry.works.

Freitag, 17. Mai 2013

Liebe Sibylla,

ach ja, die Sexyness der Literatur. Ich verstehe deinen Frust aus dem letzten Brief. Vor allem, wenn man im Bereich der Kulturvermittlung tätig ist, hat es Literatur im Vergleich zu den anderen Künsten schwer. Zum einen wegen des nicht unmittelbar vorhandenen visuellen Reizes, wie du schreibst, zum anderen auch wegen der Einsamkeit in der Herstellung und Rezeption. Schreiben und Lesen sind zunächst Tätigkeiten, die man primär alleine verrichtet. Klar gibt es Lesungen, Hörbücher, privates Vorlesen und hier und da Autor/innen-Kollektive, aber andere Künste, wie Theater, basieren eben grundsätzlich auf Teamarbeit, so dass solche Projekte auch in der Kulturellen Bildung erstmal mehr hermachen. Andererseits gibt es auch viele gelungene Versuche, Literatur und auch Lyrik im Speziellen durch die Einbeziehung von modernen visuellen Elementen (im Print und bei Lesungen) oder Musik (bei Lesungen und Audioversionen) attraktiver zu machen. Das Einsame kann außerdem auch ein Vorteil sein – man braucht nichts als ein Buch oder Papier und Stift. In der Kulturellen Bildung und im Therapeutischen Bereich bringt das auch Chancen mit sich, da die Beteiligten in Schreib-Workshops kreative und selbstreflexive Ressourcen erwerben können, die sie ganz für sich alleine nutzen können. Und die Frage, wie viele Leute überhaupt etwas mit Literatur oder noch viel weniger Lyrik anfangen können, stellt sich bei anderen Berufen und Hobbys doch auch… Denk mal an Weltraumtechniker/innen oder Windsurfer. Da ist Literatur schon eher Konsens, obgleich natürlich in ihrer Bedeutung weit unterschätzt!

Ich finde es schwer, zwischen Anspruch und Zugänglichkeit auszuloten – sowohl in der Rezeption als auch in der eigenen Produktion. Ich will schon gefordert und überrascht werden, andererseits muss auch immer genug Bekanntes angesprochen und im besten Fall neuformuliert werden. Und ich schmunzele gerne. Wenn mir Texte in ihrer ganzen Grundhaltung abgehoben erscheinen, schwanke ich zwischen Faszination und Abwehr. Wie in der Musik – nicht zu seicht, aber ein bisschen Pop darf sein. Ein bisschen Spaß muss sein. Wo der beginnt und aufhört, ist natürlich sehr individuell. Auf jeden Fall möchte ich in Zukunft ein bisschen mehr Pop in meine eigenen Texte bringen. Mal sehen, wie das aussieht… Hier und da ein schmissiger Refrain…

Als Gastbeitrag habe ich – so viel zu Zugänglichkeit – ein Fußballgedicht angefragt. Aber keine Angst, es hat auch was mit Verortungen zu tun. Hoffentlich klappt es!

Liebe Grüße und schöne Pfingsten!
Eva

Montag, 22. April 2013

Küche

der Tisch war gedeckt, die graublaue Fahne
des Morgens hing noch vorm Fenster, da saß
meine Großmutter - Brille, Zeitung - und schmierte
Leberwurststullen mit der Zeit um die Wette.
vollwertiges Müsli lag bequem und hübsch in seinem
Porzellanbecken, drinnen schwammen ein paar Tränen,
glänzten auf der Oberfläche der Milch,
auf weißer, vor Spannung zitternder Haut.
eine Welle aus Schokoflakes durchfuhr die Schale,
schwarze Flächen tauchten auf und versanken.
das Radio lief seit einem Jahrhundert,
rauschte Jahrzehnt für Jahrzehnt durch den Morgen,
eine Küche vollgepresst mit Weltmusik,
und draußen vermehrten sich die Busse,
vollgepresst mit Kindern tausender Eltern,
deren Kombis ein paar Kilometer südlich
in einen Baum rasten, jetzt, in einer scharfen
Biegung, und die Nachricht kam erst am Abend.

Gedicht von Marius Hulpe

Marius Hulpe, *1982 in Soest, hat Kulturwissenschaften und Kreatives Schreiben in Berlin, Zürich und Hildesheim studiert. Er lebt zur Zeit als Autor, Lektor und Dozent in Krakau. In vielen seiner Gedichte setzt er sich auf intensive und originelle Weise mit Orten auseinander, unter anderem mit Schauplätzen seiner westfälischen Heimat, wie in der Lyrikanthologie "Westfalen, sonst nichts?" (parasitenpresse, Dezember 2012). Marius Hulpe erhielt 2008 für seinen ersten Gedichtband "wiederbelebung der lämmer" den Literaturförderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen und das LCB-Stipendium des Berliner Senats. Im März 2013 gerade frisch erschienen ist "Einmal werden wir", sein zweiter Gedichtband in der Lyrikedition 2000, dem das hier vorgestellte "Küche" entstammt, siehe dazu:
http://www.allitera.de/Hulpe%2C+Marius%3AEinmal+werden+wir_Lyrikedition+2000_978-3-86906-508-3_t.html

Sonntag, 21. April 2013

Liebe Eva,

morgen kommt schon der April-Gastbeitrag, ein schönes Gedicht aus Marius Hulpes neuem Band, der vor wenigen Wochen erschienen ist. Hier noch schnell einige Grüße per Brief.

Ich war letztes Wochenende in Košice (Slowakei), die Stadt ist zusammen mit Marseille "Kulturhauptstadt Europas 2013". Wie schon in Pecs (Ungarn) 2010 waren die wesentlichen Bauvorhaben für das Kulturhauptstadtjahr nach dessen deutlichem Anbruch noch under construction. Die junge Künstlerin, die uns in der Stadt herumführte, meinte, sie sehe den Status der "Kulturhauptstadt 2013" und die finanziellen Zuwendungen durch den entsprechenden Fonds nicht als lediglich aufs Jahr 2013 zugeschnitten, sondern vielmehr als ein Grundkapital, das die lokale Kulturszene unterstützt und einen hoffentlich langfristigen Progress ermöglicht. Klar ist Nachhaltigkeit wesentlicher Wunsch und Ziel. Trotzdem soll man nicht zu euphemistisch sein und das Scheitern der Organisatoren - zumindest beim Timing - herunterspielen. Was aus der ganzen Sache wird, wenn die Mittel im nächsten Jahr wegfallen, weiß jetzt niemand. Aber die Reise hat sich trotzdem sehr gelohnt. Gerade BerlinerInnen, die günstig mit easyjet über Budapest anreisen können, empfehle ich einen Wochen(end)trip.

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie unsexy Literatur für die meisten Leute ist? Und dann auch noch Lyrik? Und im Vergleich mit den anderen Künsten? Sie besteht im wesentlichen aus Buchstaben, die man zusammensetzen muss, die man nicht anfassen kann, und die höchstens jene Art von Bildern ergeben, die man sich selber vorstellen muss. Literaturveranstaltungen sind oft schwerfällig, gerade noch Poetryslams (die ich persönlich nicht so mag) haben wirklich Eventcharakter, Lesungen wirken dröge und wenn es ins Internationale geht, geht sowieso alles "lost in translation". Schon komisch, dass ich das so kurz nach der Buchmesse mit ihren unendlich vielen attraktiven Veranstaltungen in Leipzig sage. Wir haben uns ja sehr amüsiert und interessiert. Aber gerade deshalb, weil man sich dort schon als Teil einer Masse fühlt: Nicht vergessen, wir sind auch nur Freaks. Genauso wie die verkleideten Computerspielteenies...

Liebe Grüße,
Sibylla

Freitag, 22. März 2013

Gliwice (Gleiwitz)

Verrostete Eisenbahnwaggons
Unkraut auf dem Bahnsteig
kniehohes Gedankenversteck
für Busengrapscher
Auf dem allerletzten Meter Bahnsteig
Nicht mehr hier und noch nicht fort
das wehende Haar kann sich nicht entscheiden
der frisch geputzte Glaskasten
mit der leuchtenden
Marienfigur
mit schräg gehaltenem Kopf
die sich auch nicht entscheiden kann

Gedicht von Tanja Dückers

Tanja Dückers, *1968 in Berlin (West), lebt als Autorin von Prosa, Lyrik und Essays in Berlin. Zuletzt erschienen der Gedichtband "Fundbüro und Verstecke" (2012), dem das Gedicht oben entstammt, und der Roman "Hausers Zimmer" (2011), beide im Schöffling Verlag. Sie hat zahlreiche Preise, Stipendien und Lehraufträge (international) erhalten. www.tanjadueckers.de

Samstag, 9. März 2013

Liebe Sibylla,

sind die ersten Frühlingsvorboten auch schon bei euch in Leipzig vorbeigekommen? Es war ja leider erst mal ein kurzer Besuch – aber er hat meine Vorfreude auf Frühling und Sommer voll geweckt. Ich merke meist den Winter über gar nicht, wie sehr mir die Sonne fehlt, bis sie dann mit ihrer ganzen Kraft zurückkommt und die ersten Blüten zu sehen sind.

Nachdem sich am 11. Februar der Todestag von Sylvia Plath zum 50. Mal gejährt hat, war Ende Februar/Anfang März noch ein weiteres trauriges Dichterinnen-Jubiläum: der 70.Jahrestag der Verschleppung und Ermordung von Gertrud Kolmar. Sie wurde am 27.02.1943 während der Zwangsarbeit in einer Rüstungsfabrik verhaftet und nach Auschwitz verschleppt, wo sie am 03.03.1943 ankam und vermutlich noch am selben Tag in der Gaskammer getötet wurde. Ich hatte das Datum gar nicht so genau im Kopf und bin erst durch Fixpoetry darauf aufmerksam geworden. Dort war eines ihrer Gedichte aus diesem Anlass als Gedicht des Tages gepostet. Leider habe ich es gerade im Archiv nicht wiedergefunden und weiß nicht mehr, welches ausgewählt wurde. Natürlich musste ich so auch an unsere gemeinsame Teilnahme an der Gertrud Kolmar-Konferenz „Fremd unter Menschen“ in Weimar denken, die diesen Monat genau drei Jahre zurückliegt. Aufregend und schön war’s! Dabei ist auch der Schnappschuss entstanden, den ich anhänge.

Übrigens bin ich dir dankbar, dass du mich nochmal auf den Feldkircher Lyrikpreis aufmerksam gemacht hast. Nachdem ich das Motto „satt liegt deine hand in der wölbung meines rückens“ zunächst doof fand – zu kitschig, zu sehr Liebeslyrik, kann ich nun, seit ich mich einmal darauf eingelassen habe, doch was damit anfangen. Ich finde es spannend, zwischen Gefühlserzeugung und Kitschvermeidung auszutarieren. Sowieso finde ich, dass die junge zeitgenössische Lyrik oft zu distanziert, kühl und unpersönlich ist - zu sehr auf ihren intellektuellen Reiz setzt. Zumindest gibt es eine Tendenz zu leisen Tönen und selten großes Drama, und ich nehme mich da gar nicht aus.

Bin schon gespannt auf die Messe. Sehen uns dann Freitag in Leipzig,
deine Eva



Montag, 18. Februar 2013

Platanen-Blues

Was ist eine Baumreihe?
Die Baumreihe ist die Harfe der Stadt.
Wie wird die Sünde gemessen?
In Kilowatt?
Woraus besteht der Mensch?
Aus Wasser.
Sind wir Blut?
Wir sind Blut.
Sind wir Herz?
Wir sind Musik.
Wie hast du geschlafen?
Albträumerisch.
Woraus ist nun das Holz?
Das Holz kommt vom Wind.


Gedicht von Marko Tomaš

übersetzt aus dem Bosnisch-Kroatisch-Serbischen
von Elvira Omerika und Sibylla Hausmann

Marko Tomaš, *1978 in Ljubljana, Slowenien, lebt heute als Autor und Journalist in der geteilten Stadt Mostar, Bosnien und Herzegowina. Er war schon in zahlreichen verschiedenen Orten in ganz Ex-Jugoslawien zu Hause. Die Themen "Verortungen" und "Reisen" sind somit auch wesentlich für sein literarisches Schaffen. Er veröffentlichte bisher fünf Gedichtbände. Seine Poesie wurde bereits ins Englische, Deutsche, Französische, Italienische und Polnische übersetzt.

Freitag, 8. Februar 2013

Zwischen Kreuzberg und Mitte

Eine dieser seltsam separierten inner-städtischen Straßen
sie kommen ganz plötzlich, eben noch Café an Plattenladen
jetzt alte Frauen und der einzige Bäcker bietet Internet

Eine Brache liegt im Dämmerlicht
hohes Gras, Holzreste, loses Gebüsch
in der Ferne eine Silber-Pappel
und zwei Einkaufswagen, einer klein und einer groß
stehen eng beieinander
wie die weidende Stute mit ihrem Fohlen

Dienstag, 29. Januar 2013

Liebe Eva,

"Familie ist als Herausforderung nicht zu unterschätzen", schön hast du das gesagt. Da fällt mir die Stelle in "Karte und Gebiet" ein, in der sich Houellebecq böse über das Thema auslässt: "Manche Menschen versuchten sich während der aktivsten Zeit ihres Lebens zu Mikrogruppierungen names Familien zusammenzuschließen, die die Reproduktion der Gattung zum Ziel hatten; aber diese Versuche schlugen meist aus Gründen fehl, die mit dem Wesen der Zeiten zutun hatten". Interessant ist diese Stelle allemal, v.a. in der erst drastisch, dann aber doch realistisch wirkenden Einschätzung, dass Familien meistens scheitern. Nicht ganz klar ist jedoch, was mit "Wesen der Zeiten" gemeint ist. Wahrscheinlich die gegenwärtige ultra-individualistische Tendenz, die dem Prinzip des engen familiären Zusammenschlusses konträr gegenüber steht. Eines Prinzips, das Kompromissbereitschaft, wenn nicht gar so etwas wie Selbstlosigkeit, "Demut", erfordert, jedenfalls die Unterordnung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse unter das Wohl eines "Ganzen".

Heute habe ich überlegt, ob ich jetzt eigentlich in Leipzig wohnhaft bin, oder vielleicht doch in Leipzig UND Mostar (das liest man doch oft: "Dedede wohnt in Köln und Rom"...)? Immerhin haben wir dort ein Haus, dessen Wände in meinen Lieblingsfarben gestrichen sind. Und wir haben auch vor, regelmäßig dorthin zurückzukehren. Ich vermisse Mostar, Bosnien im Allgemeinen, fühle mich an das Land gebunden. Aber dieses Gefühl der Leichtigkeit, das mich überkommt, wenn ich in Sarajevo aus dem Flugzeug steige, besteht zum Teil auch daraus, dass es eben nicht mein Heimatland ist, ein bisschen geheimnisvoll, ein Fluchtort, an dem ich noch "Mensch sein" kann. Und der Alltag dort war dann doch hart, wirklich hart. Und: Ich habe, besonders als ich in Mostar lebte, auch meine unschöne Geburtsregion manchmal vermisst. Die weiten Felder, Waldwege, Moos und Moder und Kornblumen und sich akkumulierende Windräder um Wolfsburg herum. Zu Hause bin ich dort aber lange nicht mehr. Was für ein komplizierter, emotionaler Knoten diese Zugehörigkeit zu bestimmten Orten doch ist!

Liebe Grüße,
Sibylla

Dienstag, 15. Januar 2013

seeblick


seeblick                 defektes tastfeld mit einem
wisch wären wir leicht und fett wie ausgestorbene so weich in öl-in-wasser-emulsion
das meer, das abgekartete

Gedicht von Charlotte Warsen

Charlotte Warsen, *1984 in Recklinghausen, lebt in Berlin. Sie studierte Kunst, Philosophie und Amerikanistik an der Kunstakademie Düsseldorf (Klassen Lüpertz und Tal R), in Köln und Finnland. Seit 2011 Promotionsprojekt in der Philosophie. Veröffentlichungen in Zeitschriften (u.a. randnummer, Bella triste) und Anthologien; Finalistin beim 19. Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin. www.charlottewarsen.de