Dienstag, 15. März 2011

Das Zeitalter der Entdeckungen

Als Kind begab ich mich
auf weite Reisen
fuhr an Küsten entlang
an Halbinseln und an Fjorden
umrundete mit dem Bleistift
Länder und Kontinente
zog auf Packpapier Grenzen nach
die wenig später
aus allen Karten verschwanden

Nie bekam ich das Meer zu Gesicht
entdeckte aber
kaum dass ich lesen konnte
den Salzgeschmack im Wort „Ozean“
watete an langen Nachmittagen
im Sommer
durch das Wort „Bucht“
wie durch eine Brandung
aus Schatten und Licht

Legte ich mich abends
von meinen Reisen heimgekehrt
müde ins Bett
so ließ ich mich treiben
auf geglätteten Wellen
weit hinaus in die Dunkelheit
bis zu jenem unbenennbaren Punkt
an dem Schlaf und Erwachen
einander berühren

von Christian Teissl


Christian Teissl * 1979 lebt in Graz. Er schreibt und veröffentlicht vorwiegend Lyrik (bisher vier Bände) sowie Aufsätze, Glossen und Feuilletons zu Themen aus Literatur, Politik, Film und bildender Kunst. Zusätzlich ist er als Herausgeber von Werken vergessener österreichischer Lyrikerinnen und Lyriker des 20. Jahrhunderts tätig. Mehr auf http://www.christianteissl.at. Besonders zu empfehlen ist sein Gedicht „Ein Mann“, das mittlerweile den Titel "Geschichte vom Doppelgänger" trägt. Es ist in dem dem Band „Die Blumenuhr“, Mitter-Verlag 2010 erschienen und auch online zu lesen unter http://www.poetenladen.de/christian-teissl-lyrik2.htm.