Donnerstag, 19. September 2013

Liebe Sibylla,

jetzt ist der Sommer schon wieder vorbei. Für mich ist es aber ok. Wettermäßig kann man sich dieses Jahr nicht beklagen, so dass auch die Daheimgebliebenen, wie du, und die Deutschlandreisenden, wie ich, einen richtigen Sommer hatten. Außerdem freue ich mich dieses Jahr wegen des erwarteten Nachwuchses mal richtig auf November. Ansonsten wirken bei mir gerade noch die anderen persönlichen Veränderungen nach. Bin froh und erleichtert, dass wir eine schöne Hochzeit hatten. Es fiel uns schon sehr schwer, uns für das Überhaupt und das Wie zu entscheiden. Jetzt sind wir beide zufrieden, und ich muss sagen, dass es sich wirklich anders anfühlt. Es ist schon mehr als ein bürokratischer Akt, deswegen fiel es uns ja auch schwer. Es ist praktisch, dass ich jetzt endlich, z. B. beim Arzt, ganz richtig „von meinem Mann“ sprechen kann, was einfach nach vielen Jahren und gemeinsamen Kind besser passt als „mein Freund“. „Mein Partner“ klingt zu sehr nach Business oder Sport und scheidet daher auch aus. Am Anfang der Elternschaft habe ich mich noch recht jung gefühlt und fand es schwer genug, mich überhaupt mit der Elternrolle zu identifizieren, so dass ich gerne durch die Formulierung „mein Freund“ betont habe, dass wir nicht verheiratet sind. Das hat sich dann schleichend geändert, von den staatlichen Bevorzugungen für Verheiratete, die man sich auf Dauer kaum entgehen lassen kann, ganz zu schweigen. Auf jeden Fall fühle ich mich jetzt, auch durch die Hochzeit, nochmal ein ganzes Stück erwachsener, sicherer und auf eine Art auch unabhängiger – natürlich nicht in der Beziehung, sondern eher dem Rest der Welt gegenüber.

Fand es auch toll, dass wir uns durch den Anlass nochmal gesehen haben. Wir müssen uns unbedingt regelmäßig besuchen! Und dann immer zusammen zu einer Literaturveranstaltung  gehen. Letzte Woche wäre ich sehr gerne mit dir beim Literaturfestival gewesen. Habe noch zwei Anläufe gestartet, eine Begleitung für eine Veranstaltung mit J.M. Coetzee zu finden. Er hat aus seinem Briefwechsel mit Paul Auster gelesen. Da ich von beiden Autoren ein paar Bücher gelesen habe, dachte ich, es sei ganz interessant, auch für unser Blog, zu schauen, was sie aus dem Briefformat machen. Außerdem wollte ich nochmal kurz in die Festivalatmosphäre eintauchen. Meine eigene Beteiligung in der Organisation liegt nun ja schon neun und zehn Jahre zurück – unglaublich, wie die Zeit vergeht. Für morgen bin ich zu einer kleinen Buchvorstellung eingeladen worden, so richtig schriftlich mit Karte. Da würde ich dich auch so gerne mitnehmen. Habe mir aber jetzt vorgenommen, alleine hinzugehen, obwohl es mich Überwindung kostet. 

Ich wünsche dir einen schönen Start in den Herbst,

deine Eva

Sonntag, 18. August 2013

Und wie wir endlich zum Mond kamen, war's ein Stück faul Holz

Bisweilen ist es gut ein wenig Abstand zu nehmen
Von all diesen Geschichten zwischen Schreibtisch und Bett
Und einmal so durchzuatmen wie der Astronaut Chris Hadfield.
Als er Space Oddity in einer Raumstation sang

In jenem schwerelosen Zustand der uns beruhigen soll
Und glauben lassen dass die Erde immer noch kein umgestürzter Hafen sei
Und dass sich noch alles um alles drehe sagst du
Und ich schaue dir zu wie du das Atmen vor dem Spiegel übst

Um mir zu beweisen dass wir beide
Noch am Leben sind und sich etwas wie Zärtlichkeit einstellt
Wenn die Luft in den Lungen ausreicht um
Sich in den luftleeren Raum fallen zu lassen und dennoch zu singen


Gedicht von Ursula Teicher-Maier


Ursula Teicher-Maier lebt in und um Darmstadt. Zuletzt erschien ihr Lyrikband "Das Reiben der Vögel an Mozart", Horlemann Verlag 2013. Sie erhielt den Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis für Literatur und andere Ehrungen und arbeitet in der Künstlerinnen-Gruppe „fishing for art“ in der Darmstädter Kunstfabrik mit, ist außerdem Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller, Hessen und Mitglied der Europäischen Autorenvereinigung DIE KOGGE. ursula-teicher-maier.de

Dienstag, 23. Juli 2013

EKKUDEN, NOTIZ

Wir kommen näher. Die Müdigkeit gerinnt zum See
Der See gerinnt zu einer Erfahrung, die grau und offen ist
wenn ich diesen Ort verlasse. Die nackte, halbnackte
Gestalt eines Wortes, das mir entgleitet

Krümel von Asche und Fahrt
tellergroße Wolken. Das Gebet noch immer gut verpackt
Gebet an die Welt

Ich bin müde wie Gras, ausgedorrt wie der kubische Schatten
des Grases. Welt und Wildnis
die willenlos einfach, zweifach nicht will



Gedicht von Joachim Zünder


Joachim Zünder, *1956 in Troisdorf, Nordrhein-Westfalen, lebt heute als Schriftsteller und Verleger in Berlin. Dort hatte er an der FU Biochemie studiert, bevor er mehrere Jahre im Ausland verbrachte, vor allem in nordeuropäischen Ländern. Er veröffentlichte bisher drei Gedichtbände, zuletzt den Band "Rauchgeister" im selbst gegründeten Independent-Verlag "Kaamos Press" (2011). Die Reflexion über Orte, an die er gereist ist, ist in seinen Gedichten häufig Mittel des Nachdenkens über das Schreiben selbst.

Mittwoch, 17. Juli 2013

Liebe Eva,

es ist Sommer und das Fernweh ist groß. Alle anderen scheinen sich einen Urlaub leisten zu können. Vorm Einschlafen rufe ich mir mein sinnliches Mostar in Erinnerung, sonne mich ein bisschen darin. Ja, ich habe mir schöne Ersatzhandlungen ausgedacht und erlebe manche glückliche Sommerminute. Auf dem Weg zum Supermarkt setze ich mich kurz auf eine Bank und träume vor mich hin. Es gibt nichts Schöneres als diese Nachmittage, an denen alles etwas langsamer und träger ist von der Wärme, das Licht wird zum Abend hin gelber und eine schillernde Fliege setzt sich auf meine Sandale um sich ebenfalls dem Nichtstun hinzugeben. Kaum zu glauben, dass ich mich in einer Großstadt befinde, auf der Leipziger "Karli", die allerdings teilweise wegen Bauarbeiten brach liegt. Ich glaube, in solchen Momenten profitiere ich unbewusst - genau wie beim Mostar-Einschlafritual - von schönen Erlebnissen aus der Vergangenheit. Einer sommerlichen Nachmittagsstunde als Grundschülerin, an der die Hausaufgaben bereits erledigt waren und ich mich absolut frei und sorglos fühlte, einem Urlaub am Meer, in dem ich mich nach dem Schwimmen von der Sonne trocknen ließ oder einem Ausflug zum See, wo ich als Studentin auf der Wiese saß und mit den Zehen wackelte.

Und ich denke dann halbgare Dinge wie: Mit steigendem Alter wird alles übersichtlicher. Die Jahreszeiten, die Pläne, die man noch verwirklichen kann, die Personen, die etwas bedeuten. Und man ist froh, wenn man noch einmal überrascht wird und die Dinge ein bisschen außer Kontrolle geraten. Vielleicht ist das der Grund, warum manche Menschen mehrmals ein komplett neues Leben anfangen. Nicht so direkt aus Langeweile, aber weil man sich wundert, "ich habe doch noch gar nicht alles erledigt".

Als nächsten Gastbeitrag wählten wir - nach der Sommerpause im Juni - einen Text aus, der durchaus ein Reise- und Urlaubsgedicht ist. Gleichzeitig aber auch sehr melancholisch. Er zeigt, dass es nicht das Verreisen allein ist, das die Sehnsucht erfüllt. Manchmal kommt man einfach nirgendwo richtig an. Vielleicht ein bisschen als Appell an alle, die in diesem Jahr nicht wegfahren können und sich den Rest der Menschheit am Meer aalend vorstellen. (Nichts kann die Vorstellungskraft so sehr beflügeln - und irreführen - wie Neid.)

Dir wünsche ich noch schöne Tage auf deinen verschiedenen Fahrten innerhalb Deutschlands in diesem Monat - und freue mich schon, dich im September aus besonderem Anlass wiederzusehen!

deine Sibylla

Mittwoch, 26. Juni 2013

Ausflüge auf dem Sofa: Stefanie Kempers „Orte – Lyrische Impressionen aus allen Himmelsrichtungen“


Reisen tut Lyrikern gut. Das ist nicht erst erwiesen, seit Stiftungen aller Couleur Programme anbieten, in denen sie Schriftstellerinnen mit einem Reisestipendium in die Welt schicken und ihre neuen Eindrücke literarisch umsetzen lassen. Besonders für das Schreiben von Gedichten ist es wichtig, Darstellungsmöglichkeiten mit dem Blick auf ein neues, ungewohntes – und ungewöhnliches    Äußeres zu erweitern.