in deinem letzten Brief hast du dich noch einmal an deine allererste "Ella-Nachricht" an mich erinnert, was einen schönen Rahmen bildet, denn mit Beginn der Herbstsaison eröffnen wir ein neues Kapitel: "Liebe Ella" hat sich mit upgedatetem Aussehen und dem Label "Ausflüge" verjüngt und erweitert.
In Mostar ist es inzwischen herbstlich, ein Wetter, wie man es sich schöner nicht wünschen kann: Sonnenschein bei so genannten Wohlfühltemperaturen, dazu die melancholisch fallenden Blätter, diesigen Morgenstunden und goldgelben Farben. Auf meinen täglichen Spaziergängen schlägt mein Herz oft schneller, wenn ich die Schönheit der Stadt unverhofft wahrnehme. Und ich glaube, auch die Mostarer haben ihren Sinn dafür nicht verloren, so sehr sie über ihre Stadt schimpfen (wie sie heute ist, denn früher, vor dem Krieg, war fast alles besser - und das stimmt natürlich auch). So sieht man z.B. häufig alte "Mostarci" auf den Neretvabrücken stehen und stundenlang auf den Fluss herabschauen, wer Zeit hat, hält sich auf der Straße auf und genießt die Sonne und eine der vielen schönen Stadtansichten.
Da unterscheiden sich die Mostarer nicht viel von den Touristen. Was dann allerdings auch die einzige Gemeinsamkeit wäre. Die Touristen halten alles mit der Kamera fest, auch die Einschusslöcher, die sie aufregend finden, während die Mostarer sich für sie schämen. Die Touristen bewegen sich schneller und hektischer und man sieht, wie sie mit der Eindrucksfülle zu kämpfen haben. Sie schleppen viel mit sich herum, wohingegen ich bei den Einheimischen das Gefühl habe, dass es ein No-Go ist, sich mit etwas anderem als Einkäufen oder dem obligatorischen Damenhandtäschchen in der Fußgängerzone zu zeigen. Vielleicht hat es etwas damit zutun, dass man sich von den Roma deutlich abheben will, die überall zu sehen sind - Sammel- und Bettelware schleppend oder in alten Kinderwagen schiebend. Auch das gepflegte Aussehen der Menschen (rasierte und gegelte Männer, geschminkte und gefönte Frauen) hat vielleicht etwas mit Abgrenzung von den Roma zutun. Oder von den "Seljaci" - den bäuerlichen Landbewohnern, über die jeder Städter, jede Städterin, eine abfällige Bemerkung parat hat. Übrigens machen die Seljaci, die großteils tatsächlich noch sehr abgeschieden und traditionell leben, Bosnien und Herzegowina mehr als alles andere aus, denn es ist eine seit jeher sehr ländlich geprägte Gegend. Aber von ihnen hört man ja außer Vorurteilen nur wenig.
Die betont gepflegten Stadtbewohner also sind hier in Mostar mit den Touris aus dem "reichen, fortschrittlichen Westen" konfrontiert - was manchmal ein paradoxes Zusammentreffen ist. Denn vor allem die jungen Leute, die nach Mostar kommen, sehen oft arg verwahrlost aus. Wie ein Student eben mit Backpack und Urlaubsbart, barfuss, in Hippielaune, immer den Tabaksbeutel zur Hand. Aber das superteure Laptop eben auch. Fragt nach dem günstigsten Hostel oder schläft gar am Fluss. Und ist dabei doch unendlich viel reicher als die meisten Leute hier. Irgendwann steht er vielleicht mal in Anzug und Krawatte einer Firma vor oder wird Professor mit Traumeinkommen. Ich glaube, dass die Mostarer beim Anblick so Mancher ziemlich befremdet sind, denn sie wissen ja vom Wohlstand derer, die optisch eher in ihre "Roma-Schublade" passen. Befremdet im wahrsten Sinne des Wortes. Klar kennt man den Schlabberlook aus dem Fernsehen, hier gibt es ja ausreichend amerikanische, deutsche, französiche etc. TV-Kanäle. Trotzdem trägt der Unterschied im Styling viel dazu bei, dass das kulturelle Fremdverständnis auf beiden Seiten eher schlecht ist und das bosnische Bild vom Deutschen sowie das deutsche vom Bosnier stark klischeebehaftet sind.
Dazu im nächsten Brief mehr. Ich hoffe, es geht dir gut und freue mich, bald von dir zu hören.
Deine Sibylla .
In Mostar ist es inzwischen herbstlich, ein Wetter, wie man es sich schöner nicht wünschen kann: Sonnenschein bei so genannten Wohlfühltemperaturen, dazu die melancholisch fallenden Blätter, diesigen Morgenstunden und goldgelben Farben. Auf meinen täglichen Spaziergängen schlägt mein Herz oft schneller, wenn ich die Schönheit der Stadt unverhofft wahrnehme. Und ich glaube, auch die Mostarer haben ihren Sinn dafür nicht verloren, so sehr sie über ihre Stadt schimpfen (wie sie heute ist, denn früher, vor dem Krieg, war fast alles besser - und das stimmt natürlich auch). So sieht man z.B. häufig alte "Mostarci" auf den Neretvabrücken stehen und stundenlang auf den Fluss herabschauen, wer Zeit hat, hält sich auf der Straße auf und genießt die Sonne und eine der vielen schönen Stadtansichten.
Da unterscheiden sich die Mostarer nicht viel von den Touristen. Was dann allerdings auch die einzige Gemeinsamkeit wäre. Die Touristen halten alles mit der Kamera fest, auch die Einschusslöcher, die sie aufregend finden, während die Mostarer sich für sie schämen. Die Touristen bewegen sich schneller und hektischer und man sieht, wie sie mit der Eindrucksfülle zu kämpfen haben. Sie schleppen viel mit sich herum, wohingegen ich bei den Einheimischen das Gefühl habe, dass es ein No-Go ist, sich mit etwas anderem als Einkäufen oder dem obligatorischen Damenhandtäschchen in der Fußgängerzone zu zeigen. Vielleicht hat es etwas damit zutun, dass man sich von den Roma deutlich abheben will, die überall zu sehen sind - Sammel- und Bettelware schleppend oder in alten Kinderwagen schiebend. Auch das gepflegte Aussehen der Menschen (rasierte und gegelte Männer, geschminkte und gefönte Frauen) hat vielleicht etwas mit Abgrenzung von den Roma zutun. Oder von den "Seljaci" - den bäuerlichen Landbewohnern, über die jeder Städter, jede Städterin, eine abfällige Bemerkung parat hat. Übrigens machen die Seljaci, die großteils tatsächlich noch sehr abgeschieden und traditionell leben, Bosnien und Herzegowina mehr als alles andere aus, denn es ist eine seit jeher sehr ländlich geprägte Gegend. Aber von ihnen hört man ja außer Vorurteilen nur wenig.
Die betont gepflegten Stadtbewohner also sind hier in Mostar mit den Touris aus dem "reichen, fortschrittlichen Westen" konfrontiert - was manchmal ein paradoxes Zusammentreffen ist. Denn vor allem die jungen Leute, die nach Mostar kommen, sehen oft arg verwahrlost aus. Wie ein Student eben mit Backpack und Urlaubsbart, barfuss, in Hippielaune, immer den Tabaksbeutel zur Hand. Aber das superteure Laptop eben auch. Fragt nach dem günstigsten Hostel oder schläft gar am Fluss. Und ist dabei doch unendlich viel reicher als die meisten Leute hier. Irgendwann steht er vielleicht mal in Anzug und Krawatte einer Firma vor oder wird Professor mit Traumeinkommen. Ich glaube, dass die Mostarer beim Anblick so Mancher ziemlich befremdet sind, denn sie wissen ja vom Wohlstand derer, die optisch eher in ihre "Roma-Schublade" passen. Befremdet im wahrsten Sinne des Wortes. Klar kennt man den Schlabberlook aus dem Fernsehen, hier gibt es ja ausreichend amerikanische, deutsche, französiche etc. TV-Kanäle. Trotzdem trägt der Unterschied im Styling viel dazu bei, dass das kulturelle Fremdverständnis auf beiden Seiten eher schlecht ist und das bosnische Bild vom Deutschen sowie das deutsche vom Bosnier stark klischeebehaftet sind.
Dazu im nächsten Brief mehr. Ich hoffe, es geht dir gut und freue mich, bald von dir zu hören.
Deine Sibylla .