Donnerstag, 23. August 2012

august

jeden sommer bangen büsche und bäume
ob noch die drehwurz in ihrem schatten steht
die schwarzdrossel durch ihr laub stöbert
das rotkehlchen nach weicher nahrung sucht

der maulwurf aber bleibt tief in der erde
wirft sommers wie winters erdhügel auf
luft holen sehen ihn busch und baum nie
nur die erschütterung ist da um ihre wurzeln 


Gedicht von Stefanie Kemper


Stefanie Kemper *1944 in Hirschberg/Schlesien, lebt in Maierhöfen/Allgäu. Sie hat mehrere eigenständige Gedichtbände herausgebracht, sowie Erzählungen und Kurzprosa, zuletzt "Orte. Lyrische Impressionen aus allen Himmelsrichtungen" und "raps geht im wind. Gedichte und Bilder" (beide 2011). Kemper, die seit über 20 Jahren Lyrik und Prosa schreibt und veröffentlicht, hat bis 1999 als Biologin an einer Akademie gelehrt. Heute gibt sie u.a. Kreatives Schreiben Kurse und widmet sich in Zusammenarbeit mit Komponisten und Bildenden Künstlern der intermedialen Umsetzung ihrer Texte.

Samstag, 21. Juli 2012

Liebe Sibylla,

gerade habe ich nochmal deinen letzten Brief gelesen und mit Bedauern gedacht, dass sich deine Sehnsucht nach Meer noch nicht erfüllt hat. Die Sommerpause, die wir mit den Gastbeiträgen eingelegt haben, ist auch nicht dem vielen Urlaub sondern fehlendem Internet geschuldet. Davon abgesehen ist der Sommer bei dir in Mostar zu heiß (wie du mir in einer E-Mail geschrieben hast) und hier in Berlin mal wieder zu kalt. Aber naja, man kann nicht alles haben. Dafür hast du jetzt einen rechtmäßigen Ehemann und besitzt eine eigene Wohnung und ich durfte mal wieder meine Berufs-Qualifikationen in einem interessanten  Praktikum erweitern. Das sollte jetzt aber trotzdem das letzte gewesen sein! Außer ich beschließe plötzlich Tiefseetaucherin oder sonstwas zu werden, von dem ich gar keine Ahnung habe. Warum wird eigentlich immer die Tiefseetaucherin bemüht, wenn es darum geht, einen exotischen Beruf anzuführen? Weil es wirklich exotisch ist, man nicht unbedingt dafür studieren muss und vor allem, weil es so schön klingt.

Im allerersten Brief an dich hatte ich die Geschichte erzählt, wie ich das Autorinnen- und Autoren-Handbuch von Uschtrin bei der Post abgeholt habe und am Nachbarschalter dasselbe Päckchen entgegen genommen wurde. Jetzt gehts weiter. Ich hatte das Buch vor über einem Jahr an einen ehemaligen Arbeitskollegen verliehen. Wir hatten abgemacht, dass er es mir persönlich zurückgibt, zumal einer seiner  Bekannten mein Nachbar ist. Als einige Zeit vergangen war, wusste ich, dass es nicht mehr dazu kommen würde. Vor ein paar Wochen wurde ich langsam ärgerlich und dachte, ok, ich sollte wohl eine Erinnerungsmail schreiben, hatte es aber noch nicht gemacht. Am Donnerstag musste ich zur Post, weil  ich eine Abholkarte im Briefkasten hatte, was ich nervig fand. Die Poststelle, die für uns zuständig ist, ist nämlich nicht die nächste in der Bergmannstraße sondern die im Posthochhaus zwischen Hallesches Tor und Möckernbrücke (ca. fünf Busstationen). Das finde ich echt weit, um seine Pakete abzuholen. Ich habe mal nachgefragt, wie das eigentlich kommt. Es wird nach Postleitzahlen und nicht nach Entfernung sortiert. Aha. Ich arbeite ja oft zuhause und komme mir an manchen Tagen so vor, als sei ich die Poststelle fürs ganze Haus. Das ist eigentlich nett, weil ich dann einen kurzen Kontakt zu den wiederum netten Nachbarinnen und Nachbarn habe, der von Dankbarkeit geprägt ist. Aber umso ärgerlicher, wenn ich für meine Post so weit fahren muss. Gut, es war schönes Wetter (was im Moment heißt, es hat nicht geregnet), ich habe meinen Arbeitsrückweg unterbrochen und einen kleinen Spaziergang eingelegt. Schlange gab es auch keine. Da ich keine Post erwartete, war ich gespannt, was es abzuholen gibt. Absender: ein Postfach und ein Kürzel. Hm, direkt beim Rausgehen geöffnet. Erst noch die Hoffnung gehabt, es würde sich um das Belegexemplar einer der ausstehenden Veröffentlichungen handeln. Aber nein, ich hatte einfach mein silbernes Handbuch zurück, zusammen mit einer knappen Karte „Verzeih die Verspätung“.

Liebe Grüße und lass uns mal ein bisschen Wetter austauschen,

Eva

Sonntag, 17. Juni 2012

Liebe Eva,


in den letzten Wochen ist soviel passiert! Eine Hochzeit, ein Umzug, ein neuer Job... du warst hier – und auch wenn es diesmal nur ganz kurz war, war es wie immer sehr schön, wenn Berlin und Mostar plötzlich an einem Ort sind. Apropos Hochzeit: Zwar unterscheiden sich der Ablauf der Feier und seine Bedeutung nicht so stark von der deutschen Feierlichkeit, doch es ist zu vermerken, dass das Heiraten hier einfach wichtiger, ernster genommen wird. Es ist nicht etwas Schönes, das man sich mal gönnt, sondern etwas Elementares, das sich eigentlich jeder wünscht (und die Scheidungsrate wie erwähnt: in Bosnien und Herzegowina extrem niedrig). Spätestens seit „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ weiß doch jeder, dass es ein Zeichen für die Wichtigkeit einer Sache in einem bestimmten Kulturraum ist, wenn es viele, differenzierte Bezeichnungen für sie gibt. (Auch wenn ich gehört habe, es soll nur ein Gerücht sein, dass es im Grönländischen so unendlich viele Begriffe für Schnee gibt.) So gibt es hier einen speziellen Begriff für Hochzeitsgäste (svatovi), einen Begriff dafür, dass eine Frau heiratet (udati se) und einen, dass ein Mann heiratet (ženiti se), Ehering heißt „burma“ während der Begriff für Ring ein ganz anderer ist (prsten von prst: Finger) usw. Manchmal sind es gerade die feinen Unterschiede in der Bedeutung, die man Dingen hier zumisst, die auf den ersten Blick ja ganz ähnlich funktionieren, die mich verwirren. Alles scheint so gleich, so klar, man kann sich verständigen, Heiraten ist wichtig, aber kein Muss, und doch gibt es z.B. kaum unverheiratete Paare mit Kind, viele ziehen erst nach der Hochzeit zusammen, es bleibt ein kleiner Teil der Bedeutung im Ungewissen und führt eine Verwirrung stiftende Schattenexistenz. Und wenn das Zusammenleben hier teils traditioneller gestaltet ist, dann frage ich mich, ob es nicht vielleicht auch so etwas wie eine Zeitreise war, diese Verpflanzung noch Mostar, nicht nur ein räumliches Abstandnehmen von Deutschland. Aber es ist doch auch viel zu einfach, zu denken, dass die Umstände hier mit denen in Deutschland vor einigen Jahrzehnten vergleichbar sind. Und es ist auch dieses typische arrogante "die Gesellschaft hier hinkt der modernen westlichen Gesellschaft hinterher". In Deutschland war es nie wie es heute hier ist und hier wird nie so sein, wie es gegenwärtig in Deutschland ist.

Jetzt ist es Sommer und fängt an, richtig heiß zu werden. Und wie alle Mostarerinnen und Mostarer denke ich nur Meer, Meer, Meer – wann fahren wir endlich ans Meer? Also ein bisschen Urlaub hätten wir uns jedenfalls verdient. Nur so ein Wochenende lang. Piniengeruch, Salzwasser, Tintenfisch mit Knoblauch – hmmm, hoffentlich ist es bald soweit!

Deine Sibylla

Samstag, 19. Mai 2012

Umwege

an einer Erzählung herumprobiert und
zuletzt ein Gedicht angefangen
an dem weiterzumachen sich lohnt

eine Heirat, um sich
von einem Mann trennen zu können

mäandernde Flüsse, auf die am Ende das Meer wartet
der Vogel, der mit einer Steinsammlung um die Schöne wirbt
Blumen, bevor man in Verhandlungen eintritt
barocke Kapitelüberschriften

warten lernen
oder besser nicht warten
ein Bad nehmen
Wäsche einräumen
Gartenarbeit
halb gedankenlos
halb konzentriert

so machen wir uns auf den Umweg

rücken eine Vase zurecht
treten noch einmal auf den Balkon
schnipsen vom Tisch die Brösel

dann sind wir auf einmal da


Gedicht von Tina Stroheker

Tina Stroheker *1948 in Ulm/Donau lebt in Eislingen. Sie hat zahlreiche Gedichtbände und Prosa veröffentlicht und viele Preise und Stipendien erhalten (z.B. 1991 den Leonce-und-Lena-Förderpreis und 2003 den Josef-Mühlberger-Preis). Mitglied ist sie u.a. im Deutschen P.E.N.-Zentrum. „Umwege“ ist aus dem Band „Was vor Augen liegt“, Tübingen 2008. Mehr auf  http://www.tina-stroheker.de/

Mittwoch, 2. Mai 2012

jenseits von Afrika...

jenseits von Afrika: nicht hier, wenn im Sommer
Rauch aus den Öfen steigt (wo Plötze und Bach-
forellen an ihren zweiten Haken hängen)
ein eingezogner Boden unter kornklarem Himmel
Afrikafahrer führn ihn unter ihrem Fuß (ihren ruß-
schwarzen Sohlen)
eine Buckelstraße geht zum See, ein Mondgebirge
fern der Dächer und Dachse
mein eigener Ort
beim Anpfiff der Grillen
                                                mein witternder Springer


Gedicht von Anke Bastrop

Anke Bastrop *1982 in Halle, lebt heute in Leipzig, wo sie Germanistik, Journalistik und Literarisches Schreiben am DLL studiert. Sie veröffentlichte bereits in mehreren Zeitschriften und Anthologien und ist Mitglied der Literaturgruppe augen : post, siehe www.augenpost.de