Freitag, 19. Oktober 2012

Liebe Sibylla,

jetzt dürftest du schon in Leipzig sein. Das Wetter meint es ja schonmal richtig gut, und möchte dir den Übergang erleichtern. Ich hoffe, die Stadt bietet dir auch ansonsten einen warmen Empfang. Ich jedenfalls freue mich sehr, dass wir für die nächsten Besuche nur 200 statt 2000 Kilometer zurücklegen müssen. Gerade sitze ich auf der Dachterrasse, die Sonne scheint mir waagerecht ins Gesicht, über die Mauern lugen Antennen, Schornsteine, mehrere Kirchturmspitzen und ein Baumwipfel.

Letzte Woche hat sich die bessere Hälfte des Herbsts, in der die Blätter noch bunt an den Bäumen hängen, zwar schon von einer viel kälteren Seite gezeigt, aber ich hatte Besuch von meiner Schwester und ihren Töchtern und wir waren viel draußen. Vor allem, um Spielplatz-Hopping zu betreiben. Zwischendurch, den Maybachufermarkt mit seinem Getümmel im Rücken, habe ich das Foto gemacht, das ich dir einfach mal mitschicke. Die Idylle trügt allerdings etwas, denn die parkenden Autos, die ich gerade so aus dem Bild raushalten konnte, standen halbradtief in faulig-schwarzen Pfützen, die mit den vor sich hin modernden Blättern eklig aussahen und auch so rochen.  

Und dann gab es ja auch noch den literarischen Herbst mit der Frankfurter Buchmesse. Ich war noch nie da, aber freue mich immer über die Berichte. Lass uns mal zusammen zur Leipziger Messe gehen! Obwohl ich in meinem Stolz immer dachte, ich gehe erst hin, wenn ich dort eine Aufgabe als geladener Gast oder Fachbesucherin habe. Wie auch immer, auf jeden Fall hat mich dieses Jahr das Spezial der Konkret mit dem Titel „German Psycho. Depression und Gesellschaft“ besonders interessiert. Es gibt acht verschiedene Beiträge zum Thema, unter anderem ein gutes Interview mit der Psychotherapeutin und Buchautorin Andrea Jolander, in dem sie mit gängigen Vorurteilen gegen Psychotherapie, wie dass alle Psychologen/innen selbst verrückt seien oder auch privat ihre Gegenüber permanent analysierten, aufräumt. 

Die Ausführungen aus deinem letzten Brief über das verschiedene Styling, das das gegenseitige Verständnis erschwert, fand ich übrigens einleuchtend. Ich denke in Berlin verhält es sich in Bezug auf Leute mit türkischem oder arabischem Background in Kontrast zu den typischen Öko-hip-, Gammel- oder immer seltener werdenden Punk-Kreuzbergern ähnlich. Allerdings leben alle zusammen hier und in Mostar sind die „Westler“ ja überwiegend Touristen/innen und in der absoluten Minderheit, und überhaupt ist die Diversität insgesamt viel geringer, was die Gegensätze sicher verschärft. 

So, muss mal machen, gehe nämlich gleich nach Längerem mal wieder ins Theater. (Und die Sonne ist auch schon längst weg.)

Bis bald,
Eva