Sonntag, 17. Juni 2012

Liebe Eva,


in den letzten Wochen ist soviel passiert! Eine Hochzeit, ein Umzug, ein neuer Job... du warst hier – und auch wenn es diesmal nur ganz kurz war, war es wie immer sehr schön, wenn Berlin und Mostar plötzlich an einem Ort sind. Apropos Hochzeit: Zwar unterscheiden sich der Ablauf der Feier und seine Bedeutung nicht so stark von der deutschen Feierlichkeit, doch es ist zu vermerken, dass das Heiraten hier einfach wichtiger, ernster genommen wird. Es ist nicht etwas Schönes, das man sich mal gönnt, sondern etwas Elementares, das sich eigentlich jeder wünscht (und die Scheidungsrate wie erwähnt: in Bosnien und Herzegowina extrem niedrig). Spätestens seit „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ weiß doch jeder, dass es ein Zeichen für die Wichtigkeit einer Sache in einem bestimmten Kulturraum ist, wenn es viele, differenzierte Bezeichnungen für sie gibt. (Auch wenn ich gehört habe, es soll nur ein Gerücht sein, dass es im Grönländischen so unendlich viele Begriffe für Schnee gibt.) So gibt es hier einen speziellen Begriff für Hochzeitsgäste (svatovi), einen Begriff dafür, dass eine Frau heiratet (udati se) und einen, dass ein Mann heiratet (ženiti se), Ehering heißt „burma“ während der Begriff für Ring ein ganz anderer ist (prsten von prst: Finger) usw. Manchmal sind es gerade die feinen Unterschiede in der Bedeutung, die man Dingen hier zumisst, die auf den ersten Blick ja ganz ähnlich funktionieren, die mich verwirren. Alles scheint so gleich, so klar, man kann sich verständigen, Heiraten ist wichtig, aber kein Muss, und doch gibt es z.B. kaum unverheiratete Paare mit Kind, viele ziehen erst nach der Hochzeit zusammen, es bleibt ein kleiner Teil der Bedeutung im Ungewissen und führt eine Verwirrung stiftende Schattenexistenz. Und wenn das Zusammenleben hier teils traditioneller gestaltet ist, dann frage ich mich, ob es nicht vielleicht auch so etwas wie eine Zeitreise war, diese Verpflanzung noch Mostar, nicht nur ein räumliches Abstandnehmen von Deutschland. Aber es ist doch auch viel zu einfach, zu denken, dass die Umstände hier mit denen in Deutschland vor einigen Jahrzehnten vergleichbar sind. Und es ist auch dieses typische arrogante "die Gesellschaft hier hinkt der modernen westlichen Gesellschaft hinterher". In Deutschland war es nie wie es heute hier ist und hier wird nie so sein, wie es gegenwärtig in Deutschland ist.

Jetzt ist es Sommer und fängt an, richtig heiß zu werden. Und wie alle Mostarerinnen und Mostarer denke ich nur Meer, Meer, Meer – wann fahren wir endlich ans Meer? Also ein bisschen Urlaub hätten wir uns jedenfalls verdient. Nur so ein Wochenende lang. Piniengeruch, Salzwasser, Tintenfisch mit Knoblauch – hmmm, hoffentlich ist es bald soweit!

Deine Sibylla