heute ist der erste richtig regnerische Tag in Mostar, der voraussichtlich eine lange Reihe von Regentagen einleiten wird, an denen es zwar nicht kalt, dafür aber draußen richtig ungemütlich sein wird. In unserer neuen Wohnung haben wir einen Ofen und wenn es auch noch den ganzen Tag lang ein bisschen blitzt und dauerdonnergrummelt ist es hier drinnen schön gemütlich. Trotzdem bin ich froh, dass die Zeit des Frierens und Sonnenentzugs jetzt erst so langsam anfängt, denn das Schlimmste am deutschen Winter ist ja, dass man Anfang Februar schon vier triste Monate hinter sich hat und immer noch nicht wirklich ein Ende in Sicht ist. Die saisonbedingte Verstimmung hält sich dadurch mit etwas Glück in Grenzen. Ich freue mich schon sehr auf deinen Besuch in zwei Wochen und finde es auch gut, dass du Mostar diesmal zu einer ganz anderen Jahreszeit, von einer ganz anderen Seite kennenlernen wirst. Wenig Touristen, vielleicht mit Dauergewittern und Wolken, die unbewegt in den Bergen hängen und die Welt ganz klein werden lassen.
Meine Lektüren in der letzten Zeit sind spärlich, was nicht nur daran liegt, dass ich hier mit Büchern, v.a. natürlich mit Büchern auf Deutsch, schlecht versorgt bin. Wenn ich mal eine Minute Ruhe habe, surfe ich im Internet oder gucke einen Film, weniger aus einem Interesse heraus als aus einer stupiden Lust auf Unterhaltung ohne Anstrengung (von der Beliebtheit gut gemachter Fernsehserien habe ich in letzter Zeit schon gehörte, aber mich bis jetzt selber noch keiner gewidmet. Kannst du mir eine zum Einstieg besonders empfehlen?). Schöner ist jedoch immer, ein Buch zu lesen. Das Gefühl, sich sinnvoll beschäftigt zu haben und auf neue Gedanken gekommen zu sein bleibt. Im Prosaheft der Edit vom Frühjahr habe ich noch einmal herumgeblättert und den Essay von Norbert Hummelt ein zweites Mal gelesen, ihn wieder gemocht in seinem Understatement. Und die These, dass Lyrik schreiben besser für das seelische Gleichgewicht ist und die Arbeit am Roman zu Depression und Selbstmord führen kann, ist doch recht ungewöhnlich. Der Lyriker Hummelt wendet so jedenfalls geschickt den Ratschlag zum Roman ab, denn eine solche Verantwortung möchte natürlich niemand auf sich laden.
Noch immer Regen und über dem Fluss fliegen Möwen hin und her.
Bis bald,
Sibylla