Samstag, 27. August 2011

KLEINÖD


asymmetrisch vom morgen
stakst die poetin durch
die von pflichttätern
sporadisch durchzuckten gassen

liest tragische küche und wittert
nach der geeigneten lücke
zum parken des to-go-brötchens
im mund von gebläsehotels

stocken blechherden sausen
wohin wohin, fragt sie, wenn
der hunger auf wiesen verpackt ist
in fliesen und dekorläden

sie imitiert den schritt
der zielhaber, memoriert:
christos ist fotomodell
und kleinöd nennt sich city

the cloudspeaker whispers hier
geht’s zur leistungspizza!

und nur ein vorbeigejoggtes
junges sieht durch ihr lächeln

das törichte lechzen nach


von Karin Fellner


Karin Fellner * 1970 in München hat Psychologie in Konstanz sowie Literaturwissenschaften in München studiert und arbeitet dort als Autorin, Schreibcoach und Lektorin, unter anderem in Projekten des Lyrik Kabinetts und des Literaturhauses München. Für ihre Lyrik erhielt sie verschiedene Preise: 2005 den Förderpreis beim Leonce-und-Lena-Wettbewerb in Darmstadt, 2006 den Förderpreis für Lyrik der Internationalen Bodenseekonferenz und 2008 den Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur. Neben zahlreichen Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften sind bislang drei Gedicht-Einzelbände erschienen, zuletzt "hangab zur kehle" (yedermann Verlag, München 2010). 

Donnerstag, 18. August 2011

Liebe Eva,

gestern und heute zwei Hinweise darauf, dass ich langsam zur wahrhaftigen Mostarerin werde. 1. ich erschrecke nicht im Geringsten, wenn unsere Katze eine riesige Heuschrecke anschleppt (mindestens von der Größe eines Teelöffels), sondern nehme sie ihr einfach weg und entsorge sie ohne mit der Wimper zu zucken, 2. ich fange an, Todesanzeigen zu lesen. Das Interesse daran, wer wann woran gestorben ist, ist hier sehr groß und kommt niemandem morbide vor. Sondern eben normal. Man checkt morgens als erstes seine Facebookseite und eben mal schnell im Netz, wer so Neues gestorben ist. Todesanzeigen werden stets Din A 4 gedruckt und in der ganzen Stadt verteilt - und handelt es sich um einen interessanten Tod, etwa einen Jungen, der in der Neretva ertrunken ist oder einen Selbstmord - muss man manchmal anstehen, um einen Blick auf den Aushang ergattern zu können. Darauf ist ein Foto zu sehen und die Lebensdaten; auch die Beerdingungszeiten stehen meistens darauf und die Abfahrtszeit des Busses zum Friedhof, den die Familie für die Trauergäste bestellt hat. Kommen kann jeder, der sich berufen fühlt, eine große Trauergemeinde ehrt traditionell die Toten und deren Familie. Auch bei Trauerblättern gibt es natürlich die allgegenwärtige "ethnische Differenzierung", Christen bekommen ein Kreuz und einen schwarzen Trauerrand, Muslime einen Mond und einen grünen Trauerrand. Interessanterweise gibt es in diesem Genre auch noch Atheisten, bzw. Kommunisten, die haben dann einen Stern und eine rote Umrandung (aber auch nur hier, im Tod, darf manchmal vom christlich-muslimischen Gegensatz abgesehen werden, ansonsten wird er ja ausnahmslos angewendet zur Verortung einer Person, egal ob diese religiös ist oder kommunistisch oder esoterisch oder was auch immer).

Etwas anderes: Neulich bin ich auf die österreichische Literatur- und Kunstzeitschrift "Lichtungen" gestoßen, in deren neuester Ausgabe auch Vesna Lubina, unser Gastbeitrag vom Juni, vertreten ist. Der Blick nach Österreich lohnt sich immer, gerade wenn man ein Interesse am Balkan hat, der dort durch seine einflussreiche Wiener Diaspora sehr präsent ist. Ein kontinuierlicher Schwerpunkt der Lichtungen ist dann auch südosteuropäische Literatur, dieses Jahr besonders der Kosovo, dessen kleine zeitgenössische Szene ich, seit dem Polip-Lyrikfestival in Pristina im letzten Herbst, interessant finde. Kürzlich habe ich zusammen mit Lucia Zimmermann, die ja auch das Festival initiiert und organisiert hatte, einen bosnisch-kosovarischen Autorenaustausch mit den jungen Autor/innen Lamija Begagić aus Sarajevo und Imer Mushkolaj aus Pristina durchgeführt. Die beiden haben einen Essay über ihre Begegnung geschrieben, der ins Deutsche übersetzt wurde und zusammen mit weiteren Essays publiziert werden wird. Mit Lamijas "bosnischem" Text trainiere ich gerade ein bisschen meine Sprachkenntnisse - auf die Gesamtpublikation auf Deutsch bin ich derweil schon sehr gespannt. Ich halte dich auf dem Laufenden, vielleicht muss ich dir einmal die ganzen kleinen Publikationen, an denen ich hier beteiligt bin (z.B. auch den Polip-Band und die Publikation zu zeitgenössischer Kunst und Literatur aus Bosnien und Herzegowina) und die man in Deutschland nicht so einfach bekommt, gesammelt schicken. Ich mache es, wenn ich den Essay-Band auch habe.

Liebe Grüße aus dem heißen Mostar,
Sibylla